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Sport: Ein schrecklich nettes Jahr

Trotz der Tabellenführung in der Bundesliga blickt der FC Bayern München auf turbulente Monate zurück

München. Jedes Jahr zum letzten Heimspiel böllert der FC Bayern München lange vor Silvester einige Raketen in den Münchner Nachthimmel. Zum Dank an die Fans gibt es ein Feuerwerk, wie sonst nur zu besonderen Anlässen wie Champions-League-Finaleinzügen oder Lothar-Matthäus- Abschieden. Das Feuerwerk zum Jahr 2002 sah nur leider keiner, weil über dem Olympiastadion ein milchiger Nebel herumwaberte. Vielleicht ein Symbol. Da wollte jemand andeuten, das Fußballjahr 2002 wäre besser vernebelt, also unsichtbar geblieben. Das hätte den Bayern vieles erspart, dem gemeinen Sportfreund aber wäre vieles abgegangen an Schadenfreude und Gaudium. So sagte Oliver Kahn über das ablaufende Jahr: „Es war sehr interessant, es waren viele Höhepunkte drin, wenn es auch für mich keine Titel gab. Aber das ist normal, Schwankungen gibt es immer.“ Es war also „interessant". So bezeichnet man gerne Personen, die in Wirklichkeit richtig langweilig sind.

Interessant war es sicher und auch „eines der aufregendsten Jahre", das kann man Kahn glauben. Nachdem man das Jahr 2001 mit drei Meistertiteln, dem deutschen, dem europäischen und dem globalen, verlassen hat und zudem im Siegesrausch auch noch das Viertelfinale der Champions League erreicht hatte, flog man dort im März aus dem Bewerb. In der Bundesliga lief es mau, auch weil dem Leitwolf Stefan Effenberg jeder Biss fehlte. Den sollte er erst viel später bei anderen Wölfen wieder auspacken. So wollte man das Frühjahr herumbringen, sich für die Qualifikation zur Champions League qualifizieren, was auch gelang.

Der Großteil des Bayern-Kader flog nach Fernost, und viele hatten sogar Erfolg dort. Vor allem Torwart Oliver Kahn, der zum nationalen Heros aufstieg und sogar in den ersten Saisonspielen von gegnerischen Fans gefeiert wurde.

Das ließ schnell nach, spätestens als er den bedauernswerten Leverkusener Thomas Brdaric mit Nackengriff nach dessen eigener Aussage „in Todesangst“ versetzte und auch noch angezeigt wurde. Doch da war ohnehin die Bayern-Krise bereits in vollem Gange. Ausgelöst durch Karl-Heinz Rummenigge, der mit seinem leichtfertig hingeworfenen Satz, man habe nunmehr den „besten Kader aller Zeiten“ die sensiblen Jungs unter Druck setzte. Denn nach Stefan Effenberg wurde auch Carsten Jancker und damit der letzte kantige Charakter fortgeschickt. Und mit Michael Ballack und Co. hatte man ja nur brave Balltreter und Teenager-Lieblinge verpflichtet. Was sich zunächst allerdings gut anließ.

Alles strahlte in den neuen weißen Trikots und weil Ballack, Zé Roberto und all die anderen plötzlich fein daherzauberten, ward der Terminus vom weißen Ballett geboren. Und so wurde fortan schön gespielt und gewonnen. Nach einigen Wochen aber wurde nur noch schön gespielt. Und wieder einige Zeit später gar nichts mehr von alledem. Der FC Bayern war in der ersten Runde der Champions League ausgeschieden und wurde herzlich ausgelacht. Und Vorstandvorsitzender Rummenigge bekam immer wieder seine eigene Worte vorgehalten. Es waren schwere Tage für Trainer Ottmar Hitzfeld, der nun gar keinen Bonus mehr zu haben schien und dem in einer Boulevardzeitung bereits die Nachfolger vorgestellt wurden. Die lustigste Variante war das Trainer-Duo Brehme/Matthäus.

Matthäus erzählte dann auch seine Ansichten zur Lage der bayerischen Fußballnation, woraufhin ihn Manager Uli Hoeneß zurechtwies und sagte: „Solange ich hier was zu sagen habe, wird Matthäus nicht mal Greenkeeper im neuen Stadion.“ Tage später meldete sich der Greenkeeper Verband Deutschland e.V. (GVD) bei Hoeneß und wies ihn darauf hin, dass jene Profession ein höchst diffiziler Lehrberuf sei und qualifiziertes Personal benötige.

Der FC Bayern hatte es nicht leicht im Herbst. Auch weil wegen fehlender Europareisen die Kicker des Nobelvereins plötzlich unausgelastet waren. Und begannen, sich im Training zu verprügeln. Erst watschte Bixente Lizarazu den bedauernswerten Niko Kovac, Tage später ging Sammy Kuffour auf Jens Jeremies los und der Schlichter Thorsten Fink bekam auch noch ein Veilchen mit.

Der Unfug hatte erst ein Ende, als die Bayern wieder das taten, was sie am besten können: unsympathischen Erfolgsfußball. Mit einem grausamen Kick gegen Schalke zog man ins Viertelfinale des DFB-Pokals ein. Mit zuletzt fünf Ligaspielen in Serie ohne Gegentor untermauerte man die Herbstmeisterschaft. Und dennoch endete das Jahr, wie es begann: trüb. Mit einem unsichtbaren Feuerwerk und einem, wie Oliver Kahn es nach dem 0:0 gegen Schalke formulierte: „Scheißkick".

Detlef Dresslein

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