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Sport: Ein Sieg der Gelassenheit

Die einstige Leichtathletik-Olympiasiegerin Ingrid Mickler-Becker wird in Berlin mit der Goldenen Sportpyramide geehrt

Berlin - Sie steht auf der Bühne und schaut scheu in den Saal. Ihr ist ein wenig mulmig zumute an diesem heißen Freitagabend vor der festlich gekleideten Gesellschaft im Berliner Hotel Adlon. Sie soll über ihr Leben sprechen, über sportliche Leistungen und den Aufstieg als Politikerin, über die Vorbildfunktion, die sie haben soll in einem verunsicherten Land. Doch Ingrid Mickler-Becker hält eine andere Rede. Die zweifache Leichtathletik-Olympiasiegerin schwärmt von ihrer Jugendliebe Friedrich, mit der sie vor wichtigen Wettkämpfen im Auto übernachtete, sie berichtet von späteren Männern, „es gab da so eine Findungsphase“, und dann, nach vielen emotionalen Minuten, schaut Ingrid Mickler-Becker zu ihrem Tisch und haucht ins Mikrofon: „Lieber Friedrich, es ist immer noch so wie damals mit 16 Jahren.“

Ingrid Mickler-Becker ist bei sich selbst geblieben. Die 62 Jahre alte ehemalige Springerin, Sprinterin und Fünfkämpferin hat die Goldene Sportpyramide 2005 für ihr Lebenswerk erhalten, eine der höchsten gesellschaftlichen Auszeichnungen im deutschen Sport. Sie wird vergeben von der Deutschen Sporthilfe, die bei der Berliner Gala mit 320 geladenen Gästen mehr als 100 000 Euro für Nachwuchsathleten sammelte.

Die Geehrte hat die Widrigkeiten des Spitzensports früh kennen gelernt. Zuschüsse für Fahrten zu Jugendwettkämpfen gab es in den Sechzigerjahren nicht, „manchmal hatten wir nicht mal genug Benzin“. Und ihre Mutter fand es wenig mädchenhaft, wenn sich die Tochter auf Sportplätzen herumtrieb. Erst mit den Olympia-Teilnahmen 1960, 1964, 1968 und 1972, erst mit den Siegen und Rekorden kam die Anerkennung. Heute macht Mickler-Becker für die CDU Sportpolitik und fördert im Gutachterausschuss der Sporthilfe junge Talente. Vielleicht hängt ihre bei der Gala gezeigte Demut mit diesem langen verschlungenen Lebensweg zusammen. „Was kommt nach dem Leben?“, fragte sie das Publikum, nachdem sie die Pyramide entgegengenommen hatte.

Bundesinnnenminister Otto Schily lobte in seiner Laudatio vor allem Mickler-Beckers gesellschaftliches Engagement – „auch wenn sie leider nicht in der SPD ist“. Schily gab damit das zweite Thema des Abends vor: die vorgezogene Bundestagswahl. Nach dem Rahmenprogramm, in dem Schauspieler Otto Sander eindrucksvoll aus den Turngedichten von Ringelnatz rezitiert hatte, widmeten sich viele Sportpolitiker und Funktionäre dem Wahlkampf am Dessertbüfett. „Wir haben noch nicht verloren“, rief Peter Hanisch, der Chef des Berliner Landessportbundes, seinen sozialdemokratischen Genossen zu. Derweil diskutierten Oppositionspolitiker über eine mögliche Neubesetzung des Innenministeriums. Dabei könnte sich entscheiden, wer bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 für den Sport verantwortlich ist. Otto Schily brachte das nicht aus der Ruhe: „Erst mal sehen wir, was am Wahltag passiert.“

Fast klang da jene demütige Gelassenheit durch, mit der die Preisträgerin Ingrid Mickler-Becker einen besonderen Abend geprägt hatte.

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