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Sport: Ein Traum von einer Saison

Die Bundesliga steht im Zeichen der Hoffnung – anders wäre sie derzeit auch nicht zu ertragen

Seien wir ehrlich, die fußballerische Bedeutung der Saison 2005/2006 liegt darin, uns die Zeit bis Juli zu vertreiben. Sie ist nicht das eigentliche Ereignis, sondern die Vorbereitung. Gleichsam ein Ligapokal mit 34 Spieltagen.

So scheinen es auch Manager und Vereinsverantwortliche aufgefasst zu haben. Weniger Aktivität als in diesem Sommer ist jedenfalls kaum denkbar. Kein Spielerwechsel, der die Fantasie anzuregen wüsste. Nicht eine Mannschaft, die für sich einen substanziellen Qualitätszuwachs beanspruchen könnte. In der WM-Saison zeigt sich die Liga fest entschlossen zur Stagnation auf gekanntem Niveau, obwohl ihre Klubs europaweit so schwach positioniert sind wie niemals zuvor. Es soll sogar – munkelt man in der Hauptstadt – deutsche Spitzenvereine geben, die weniger als zwei echte Stürmer in ihrem Kader zählen!

Doch ist die Passivität auf dem Transfermarkt nicht etwa ein Zeichen neuerdings solider Buchhaltung, sondern falscher unternehmerischer Bequemlichkeit. In der WM-Saison können die Vereine von verstärkter öffentlicher Wahrnehmung sowie steigenden Zuschauerzahlen sicher ausgehen. Wozu also extra Geld ausgeben, wenn die vorfreudigen Massen ohnehin strömen? Die Bundesliga hat damit als Möchtegern-Weltmarke schon jetzt schwer versagt. Denn sie hat es versäumt, in genau dem Jahr ein wahres Feldspektakel anzubieten, in dem sie sowohl national als auch international am intensivsten wahrgenommen wird.

Selbst wenn der mündige Fan seinen Kopf WM-frei bekommen könnte, würde ihm also nichts anderes übrig bleiben, als der angebotenen Ödnis durch Konzentration auf ein zukünftiges den nötigen Sinn zu verleihen. Noch das mäßigste Aufeinandertreffen zweier so vollends gesichtsloser Mannschaften wie Wolfsburg und Hannover wird uns in unendlichen Schleifen auf seine Bedeutung für die WM aufgeschlüsselt. Welche Erkenntnisse dabei zu erwarten sind? Auch diese Antwort liegt leider zu offen. Keine wesentlichen!

Nach dem munteren Vorbereitungsturnier (und nichts anderes war es!) des Confed-Cups steht der Kreis der Erwählten so gut wie fest. Weitere Jungzugänge sind für Klinsmanns Risikoteam nicht zu erwarten – noch wären sie wünschenswert. Vollends absehbar erscheint überdies, dass ein gesunder Christoph Metzelder sowie Markus Babbel die Abwehr stabilisieren, womit mindestens 20 von Klinsmanns 22 Letztberufenen ihr Geld in der Heimat verdienen. Der Weltmeisterkader wird ein Bundesligakader sein – und das zu Zeiten, in denen die internationale Konkurrenzfähigkeit dieser Spielklasse bestenfalls fraglich ist.

Es hatte deshalb seinen guten Sinn, dass der Cheftrainer seit dem ersten Amtstag entschlossen die Flucht in die Zukunft antritt. Fragen nach dem Jetztzustand kontert er stets mit Antworten über das, was in Zukunft noch besser sein wird. Er verfährt damit in bester amerikanisch-pragmatischer Tradition nach dem Hoffnungsprinzip des „Als ob“. Wenn die Zukunft erst einmal rosig geredet ist, schaut auch die Gegenwart gleich viel besser aus. Wie die Vergangenheit eindrucksvoll beweist, lassen sich gerade junge Spieler und kindische Gemüter so erfolgreich mitreißen.

Freilich, für das Hier und Jetzt bezahlt man solch eine Verschiebungstaktik immer mit einem gewissen Realitätsverlust. Und „Hier“ und „Jetzt“ ist ja, genau genommen, in jedem wirklich spielentscheidenden Moment: Also immer. Zukunft hingegen nie.

Vor diesem Hintergrund ist schon jetzt klar, dass sich diese kommende Saison auch von Beobachterseite nur mit einer Als-ob-Taktik Klinsmann’scher Prägung ertragen lassen wird. Wir – die große Gesinnungsgemeinschaft von Journalisten und Fans – werden in einer nie gesehenen Gemeinschaftsanstrengung allerletzte Willenskräfte mobilisieren. Wir werden nämlich über neun lange Monate so tun müssen, als ob wir voll dabei wären, als ob der Titelkampf uns wirklich beschäftigte, als ob sein Verlauf etwas zu bedeuten hätte. Wir werden uns dieses Mal also nicht nur freiwillig über die Qualität des Gebotenen belügen – das tun wir schon seit Jahren! –, sondern auch über den Grad unserer emotionalen Anbindung.

Es wird eine übermenschliche, wahrhaft heroische Anstrengung nationalen Ausmaßes. Und alles, damit die künstliche Stimmung künstlich gut bleibt. Für den gemeinsamen Traum von der WM. Und ein Traum wird diese WM für uns. Hoffen wir. Noch.

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