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Sport: Eine Demütigung soll motivieren

Der THW Kiel hat heute im Derby der Handball-Bundesliga gegen Flensburg viel gutzumachen

Etwas Besonderes kündigt sich an im hohen Norden, das spürt Dominik Klein. „Hier herrscht wirklich Ausnahmezustand“, sagt der 23 Jahre alte Linksaußen, der im Sommer vom TV Großwallstadt zum Handballrekordmeister THW Kiel gewechselt war, „die ganze Stadt spricht über dieses Spiel.“ Aber nicht nur Fans aus Schleswig-Holstein, sondern aus ganz Deutschland schauen heute Nachmittag auf das 53. Nordderby zwischen dem THW Kiel und der SG Flensburg-Handewitt (15 Uhr, live im NDR).

Das ewig junge Duell der beiden besten deutschen Handballklubs des letzten Jahrzehnts steht in diesem Jahr doch unter einem besonderen Stern. Nicht nur die Rivalität mit Flensburg nämlich beschäftigt die Kieler Gastgeber. Sie beschäftigen sich immer noch mit einer Niederlage, von der manche glauben, sie könne womöglich Nachwirkungen haben für diese junge Mannschaft: diese herbe 24:39-Pleite am Mittwoch beim SC Magdeburg, diesen „kollektiven Blackout, bei dem alle Systeme zusammengebrochen sind“, wie THW-Manager Uwe Schwenker sagte, kann sich eigentlich immer noch keiner so richtig erklären. Zumal zunächst alles gut lief für die Kieler, die zuvor durch 19 Siege in Serie Selbstbewusstsein bekommen hatten. „In der ersten Halbzeit lief unser Spiel perfekt“, sagt Klein immer noch fassungslos, „und dann gibt es diesen totalen Einbruch. Das war wirklich extrem.“ Nach der 20:18-Führung versagte der Kieler Hochgeschwindigkeitshandball auf ganzer Linie: Magdeburgs Keeper Silvio Heinevetter steigerte sich in einen Rausch, selbst der souveräne Siebenmeterschütze Vid Kavticnik warf die Strafwürfe entnervt neben das Tor und als die Schlusssirene ertönte, standen ein sensationeller 4:21-Negativlauf und die höchste Liganiederlage seit über 20 Jahren fest (1986 hatte Kiel 14:29 bei Tusem Essen verloren).

Trainer Noka Serdarusic, der mit dem THW seit 1993 neun deutsche Meisterschaften gewonnen hat, zeigte sich geschockt: „Ich wusste nicht, dass meine Mannschaft 30 Minuten so spielen kann.“ Die Mannschaft habe ihn, klagte Serdarusic, „gar nicht mehr wahrgenommen und nur mit dem Herzen statt mit dem Verstand gespielt“.

Nun müssen sich die Kieler, die den Titel schon abonniert zu haben schienen, plötzlich mit ihrer neuen allgemeinen Verunsicherung auseinandersetzen. „In einer solchen Situation war ich noch nie“, sagt Dominik Klein, aber der Neuzugang wendet die Tatsache, dass nun schon das Derby ansteht, ins Positive: „Wenn wir das Spiel gewinnen, dann ist Magdeburg fast schon wieder vergessen.“ Manager Uwe Schwenker sieht die demütigende zweite Halbzeit von Magdeburg sogar als Motivationsschub, er sagt: „Die Jungs brennen darauf, nach so einer Geschichte so schnell wie möglich auf die Platte zurückzukehren. Sie wollen beweisen, dass sie es können.“

Der Erfolgsdruck lastet auch deshalb schwer auf den Kielern (25:5-Punkte), weil der Flensburger Erzrivale (27:3) nach einer Niederlage auf vier Punkte enteilt wäre und damit schon eine kleine Vorentscheidung im Titelkampf gefallen wäre. Flensburg jedenfalls scheint gefestigter als Kiel: Seitdem die Flensburger im Achtelfinalrückspiel der Champions League gegen den slowenischen Topklub Celje einen Zwölf-Tore-Rückstand wettgemacht haben, schwimmen sie auf einer Erfolgswelle – und haben zuletzt auch dort souverän gewonnen, wo Kiel so klar verloren hat, in Magdeburg. Der Minderwertigkeitskomplex, den die SG gegenüber Kiel früher offenbart hatte, ist ohnehin längst abgelegt. Und auch die 10 250 Zuschauer in der ausverkauften Ostseehalle, die schon lange auf das Spiel der Spiele hinfiebern, machen SG-Regisseur Ljubomir Vranjes keine Angst: „Wir sind ganz entspannt.“

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