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Sport: Eine Frage der Balance

Wie Herthas Trainer Huub Stevens seine Mannschaft aufstellt

Berlin. Vor kurzem hat Huub Stevens, der Trainer von Hertha BSC, einen Scherz mit den Journalisten getrieben. Zur Aufstellung für das nächste Spiel könne er noch nichts sagen, sagte Stevens. Er müsse erst noch abwarten, welche Vorschläge ihm die Zeitungen präsentierten. Vielleicht, so sagte Herthas Trainer, finde er da ja noch nützliche Hinweise. Natürlich hat Stevens das nicht ernst gemeint. Welche elf Spieler er zu Beginn eines Spiels aufs Feld schickt, mag von vielen Faktoren abhängen; die Vorschläge der Medien gehören ganz bestimmt nicht dazu.

Zwanzig Pflichtspiele hat der Berliner Fußball-Bundesligist bisher unter seinem Trainer Stevens bestritten, und noch nie hat die Mannschaft zweimal hintereinander mit derselben Formation begonnen. „Man muss ja sehen, wer überhaupt zur Verfügung steht“, sagt Stevens. Heute in München gegen die Bayern fehlt zum Beispiel Alex Alves, der sich am Dienstag einen Muskelfaserriss zugezogen hat. Obwohl Stevens auf solche Entwicklungen keinen Einfluss hat, ist ihm bereits eine gewisse Willkür in Personalfragen nachgesagt worden. Als würde Herthas Trainer ohne Not hin- und herrotieren wie ein wild gewordener Ottmar Hitzfeld. Nichts trifft die Wahrheit wohl weniger.

Es gibt viele schöne Ausdrücke, mit denen die Geheimnisse des modernen Fußballspiels beschrieben werden: Von System und Taktik ist die Rede; Stevens’ Stil bildende Prinzipien heißen Organisation und Balance, wobei die Organisation das Mittel zum Zweck Balance darstellt. „Man muss immer viele Facetten berücksichtigen“, sagt Stevens. In erster Linie die Fähigkeiten der eigenen Spieler. Aber auch die Möglichkeiten des Gegners. Kraftstrotzende Trainer protzen gerne damit, dass es sie überhaupt nicht interessiere, was der Gegner vorhabe. „Das ist doch nicht wahr“, sagt Stevens. „Wenn du bei einem Verein wie Real Madrid arbeitest und über die besten Spieler der Welt verfügst, dann kannst du das vielleicht sagen.“

Der Gegner ist immer ein Element, das das fragile Gleichgewicht bedroht. Schon deshalb spielt er bei den Planungen der eigenen Aufstellung eine Rolle. Als Stevens’ taktische Meisterleistung gilt die Aufstellung für das Spiel in Hannover. Die Fachwelt hatte erwartet, dass im Mittelfeld Stefan Beinlich auflaufen werde, der in der Woche zuvor recht ansprechend gespielt hatte. Doch Beinlich saß nur auf der Bank, stattdessen stand René Tretschok in der Anfangself. Stevens wollte im Mittelfeld eine Überzahlsituation schaffen, um den Offensivdrang der Hannoveraner zu stoppen. Tretschok auf der kontrollierenden Mittelfeldposition kam in diesen Überlegungen eine entscheidende Bedeutung zu. Stevens’ Plan funktionierte. Erst zum zweiten Mal in dieser Saison schoss Hannover kein Tor.

Manche Situation erfordert aber auch eine flexible Antwort auf eine unerwartete Herausforderung. Als Stevens noch in Schalke Trainer war und im Uefa-Cup gegen Valencia spielte, hatte er seine Spieler darauf vorbereitet, dass die Aufstellung kurzfristig noch geändert werden könnte, je nachdem, ob Valencia im Mittelfeld einen zusätzlichen offensiven oder defensiven Spieler aufbiete. „Du musst das gut erklären“, sagt Stevens. Es gehe schließlich nicht, einem Spieler, der fest mit seinem Einsatz rechne, kurz vor dem Anpfiff zu sagen: Du spielst doch nicht.

Trotz allem: Bei den Personalplanungen „ist die eigene Mannschaft der erste Faktor“, sagt Stevens. Als Trainer müsse er von den Fähigkeiten jedes Einzelnen ausgehen. Aus den zur Verfügung stehenden Spielern versuche er dann, eine Mannschaft zu bilden, in der jeder seine Fähigkeiten mit dem größten Gewinn für die Gesamtheit einbringen kann. Doch das ist nicht immer so einfach, wie es sich anhört. Die elf besten Spieler ergeben noch nicht die beste Mannschaft. Denn Stevens weiß, dass bestimmte Spieler von ihrem Typus her nicht zusammenpassen. Die Stürmer Michael Preetz und Luizao etwa werden nicht mehr gemeinsam in Herthas Anfangself stehen, weil sie in ihrer Spielweise zu ähnlich sind.

Trotzdem hat Herthas Trainer eine Wunschelf im Kopf. Eine, die er sowohl zu Hause gegen Cottbus auflaufen ließe als auch auswärts bei den Bayern – wenn denn alle Spieler fit wären. Diese Wunschelf, sagt Stevens, „wir haben sie noch nicht erlebt“.

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