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Sport: Eine Frage des Erbes

Luan Krasniqi aus Rottweil soll Weltmeister werden und die Nachfolge Max Schmelings antreten

Berlin - Der vergangene Mittwoch war ein besonderer Tag für die Stadt Rottweil. Oberbürgermeister Thomas J. Engeser hatte keine Stimme mehr. „Er hat sich erkältet“, sagte seine Vorzimmerdame ins Telefon. Kommenden Mittwoch aber werde der Herr Oberbürgermeister in Hamburg am Boxring sitzen, „da kann kommen, was will“. Der kommende Mittwoch soll ein historischer Tag werden für Rottweil, ach was, für Deutschland! In der Hamburger Color Line Arena boxt der Rottweiler Luan Krasniqi gegen den Amerikaner Lamon Brewster um den WM-Titel im Schwergewicht. Und wenn es nach den Hoffnungen und Wünschen der Rottweiler und des Veranstalters geht, dann soll an diesem Tag ein neuer Max Schmeling geboren werden. Der kommende Mittwoch ist der Tag, an dem Schmeling 100 geworden wäre.

Der 34 Jahre alte Luan Krasniqi ist der fünfte Deutsche, der nach dem Titel im Schwergewicht greift. Außer Schmeling hat es niemand geschafft. Das liegt jetzt 75 Jahre zurück. Die Sehnsucht der Deutschen nach diesem Titel ist groß, größer ist nur noch der aktuelle Hype, der um diesen Kampf gemacht wird. Das liegt weniger an den beiden Hauptkämpfern. Brewster war bis vor eineinhalb Jahren, als er Wladimir Klitschko k. o. schlug und dem Ukrainer den WM-Titel abknöpfte, den wenigsten ein Begriff. Und Krasniqi? Zu ihm fällt Sportinteressierten vielleicht noch ein, dass er vor drei Jahren einen Europameisterschaftskampf in der achten Runde aufgab, obwohl er nach Punkten klar in Führung lag. Dieser Boxer, der damals als Waschlappen bezeichnet worden war, soll jetzt das Erbe des deutschen Idols antreten?

Es ist der Name des im Frühjahr dieses Jahres verstorbenen Max Schmeling, der dem Ereignis Aufmerksamkeit verschafft. Das ZDF wird eine eigene Crew nach Rottweil schicken, wo am Kampfabend im „Kraftwerk“ die Menschen zusammenlaufen. Das „Kraftwerk“ ist eine Art Eventtempel, früher beherbergten die Hallen der stillgelegten Industrieanlage eine Pulverfabrik. Und schließlich wird am späten Abend Johannes B. Kerner mit Axel Schulz, Henry Maske, Dariusz Michalczewski und Regina Halmich talken – live aus der Boxarena.

Dabei musste das ZDF erst überzeugt werden. Boxen am Mittwoch – die Bedenken bei den Mainzern waren groß. An diesem Abend läuft bei der Konkurrenz die Champions League im Fußball. Aber das Schwergewicht verspricht immer Quote. Als Axel Schulz im Dezember 1995 gegen den Südafrikaner Francois Botha um den WM-Titel boxte, saßen 18 Millionen Menschen vor den Fernsehschirmen. Das ist bis heute Rekord.

„Das Schwergewicht ist die Formel 1 des Boxens“, sagt der renommierte Promoter Wilfried Sauerland, „in dieser Gewichtsklasse kann ein Schlag alles entscheiden.“ Mitte der Neunzigerjahre hoffte auch noch Sauerland den Nachfolger Schmelings gefunden zu haben. Der Promoter investierte ein Vermögen, um den prestigeträchtigsten Titel der Boxwelt anzugreifen. Axel Schulz scheiterte innerhalb von 14 Monaten dreimal: gegen die Amerikaner George Foreman und Michael Moorer sowie an Botha, der, wie sich später herausstellte, gedopt war. Vor Schulz hatte es Karl Mildenberger im September 1966 versucht. In Frankfurt am Main unterlag er Muhammad Ali durch technischen K. o. in der zwölften Runde. Der bisher letzte Versuch eines Deutschen, Schmelings Erbe anzutreten, scheiterte kläglich. Für Willi Fischer war gegen den Briten Herbie Hide schon in der zweiten Runde Schluss.

Am Mittwoch soll eine neue Ära beginnen. Klaus-Peter Kohl spricht von einem Ereignis, das „einmalig in der Geschichte ist“. Kohl sagt das, weil er der Promoter des Herausforderers Krasniqi und Chef der veranstaltenden Hamburger Universum Box-Promotion ist. Vor einem Jahr waren Kohl die beiden Klitschkos abhanden gekommen, die sich selbstständig machten. Krasniqi soll diese Lücke füllen. Dafür scheint nichts zu teuer. Rund zehn Millionen Euro beträgt der Gesamtetat der Veranstaltung. Um den Kampf nach Deutschland zu holen, musste Kohl sich mit dem Paten des Box-Business, Don King, einlassen. Der 74 Jahre alte Amerikaner beherrscht seit Jahren den US-Markt, den wichtigsten des Boxens. Drei der vier Schwergewichtsweltmeister stehen bei ihm unter Vertrag: John Ruiz (WBA), Chris Byrd (IBF) und eben Brewster (WBO). Nur Witali Klitschko, der WBC-Weltmeister, entzieht sich noch dem Einfluss des Mannes mit dem wiehernden Lachen und der wilden Frisur.

Seit der Vertragsunterzeichnung posaunt King seltsame Dinge in die Welt. „Wir wissen, dass der Geist Schmelings mit Luan gesprochen, ihm Ratschläge erteilt und ihn beschworen hat, den Titel nach Deutschland zu holen“, faselt King, „doch nun hat Schmelings Geist auch Kontakt zu Brewster aufgenommen und ihm ebenfalls den Rücken gestärkt.“ Nach solchen Einlassungen wird es selbst Boxfans suspekt. „Vor allem tut man Luan damit keinen Gefallen“, sagt Sauerland. Henry Maske hält die Publicity für überzogen: „Um ein neuer Schmeling zu werden, braucht es mehr als einen Titel.“

Luan Krasniqi ist als 16-Jähriger aus dem Kosovo seinen Eltern nachgezogen. Er hat Deutsch gelernt, sein Abitur gemacht. 1994 nahm er die deutsche Staatsbürgerschaft an, zwei Jahre später wurde er Europameister bei den Amateuren und gewann Bronze bei Olympia. Nebenher arbeitete er am Gericht als Dolmetscher für Deutsch, Englisch, Albanisch, Kroatisch und Italienisch. Er ist ein Musterbeispiel gelungener Integration. Jetzt rümpfen die Leute die Nase, wenn sie hören, dass er die Nachfolge Schmelings antreten soll. Er selbst versteht die Aufregung nicht. Er habe Schmeling bei dem einzigen Treffen das Versprechen gegeben, den Titel nach Deutschland zurückzuholen, aber „das Pathos um den Kampf inszenieren einige Medien“, sagte er „Spiegel-Online“: „Ich bin nur ein Boxer, der siegen will.“

Bei all dem Rummel geht die Max- Schmeling-Stiftung in Deckung. Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Heiko Stöhr, sagt: „Der Veranstalter widmet den Kampfabend einer Person der Zeitgeschichte, dagegen kann man nichts machen. Er hat nun mal Geburtstag an diesem Tag.“ Stöhr, Jahrgang 1951, wird das erste Mal zum Boxen gehen. Er hat eine Eintrittskarte bekommen. Auf Gegenleistungen anderer Art verzichtet die Stiftung dankend. „Wir haben dem Veranstalter gesagt, dass wir kein Interesse an Spenden für die Max-Schmeling-Stiftung haben. Herr Schmeling wollte in seiner Stiftung völlig autark bleiben.“ Werbung für den Kampfabend mit dem prominenten Namen wurde untersagt. Stöhr sagte der Werbeagentur: „Sie sind wohl verrückt. Max Schmeling hat so etwas zeit seines Lebens nicht gemacht für Geld.“

Vielleicht wäre Krasniqi doch ein geeigneter Nachfolger Schmelings. Stöhr lächelt und sagt: „Wer da alles schon mit ihm bekannt und befreundet sein wollte – ich habe da schon aufgegeben. Wir sind jetzt daran interessiert, dass die Person Max Schmeling so erhalten bleibt, wie sie war.“ In Rottweil werden solcherlei Bedenken weggefeiert. Ein großer Empfang für den vermeintlichen Schmeling-Nachfolgers ist geplant. „In unserer Fußgängerzone haben wir eine schöne Terrasse“, sagt die Vorzimmerdame des Oberbürgermeisters. „Da gibt’s dann Blasmusik , also richtig Remmidemmi.“

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