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Augen zu und durch. Philipp Boy turnte eine starke Qualifikation. Foto: AFP

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Sport: Eine Hand am Gold

Die deutschen Turner um Philipp Boy überzeugen zum Auftakt der Heim-EM in Berlin

Berlin - Der Hallensprecher versuchte es mal ein bisschen wie die Ansager bei den großen Boxkämpfen. „Und jetzt am Reck: Philipp Boy“, schrie er ins Mikrofon. „Philipp Boy“ zog er in die Länge, das geht ja gut bei diesem Namen, aber er übertrieb es nicht, in der Max-Schmeling-Halle ging es schließlich um Kunstturner, die haben es nicht ganz so mit der schrillen Show.

Aber ein bisschen Show sahen die 3000 Zuschauer doch. Dafür sorgte Boy schon. Die Zuschauer klatschten, sie starrten jetzt gespannt auf Philipp Boy, der an die Reckstange sprang; die Hallenmusik wurde extra leiser gestellt. Und dann turnte der Mehrkampf-Vizeweltmeister Boy bei der Qualifikation der EM zur Höchstnote an diesem Gerät. Obwohl er auf den Kolman, das anspruchsvolle Flugteil, verzichtete, er wollte in der Qualifikation kein Risiko eingehen und möglicherweise auf der Matte landen.

Ein paar Minuten später, als alles vorbei war, da stand der deutsche Chef-Bundestrainer Andreas Hirsch in den Katakomben der Halle und sagte lächelnd: „Ich bin sehr zufrieden. Wir haben acht Finalplätze, und wir können Medaillen erreichen.“ Boy startet heute im Mehrkampffinale und hat sich zudem für die Finals im Reck und am Boden qualifiziert. Marcel Nguyen (Mehrkampf, Barren, Reck), Sebastian Krimmer (Pauschenpferd) und Thomas Taranu (Ringe) haben sich ebenfalls für die Endkämpfe qualifiziert.

Philipp Boy lachte breit, als er im Trainingsanzug über seine Übungen sprach. „Für mich war das Reck das wichtigste Gerät. Ich liebe das Reck. Ich wünsche mir nichts mehr als die Goldmedaille.“ Sein Blick wurde fast selig, als er dann noch verkündete: „Jetzt habe ich die Hand dran.“

Er hat auch die Hand an einer Medaille im Mehrkampf, ebenso wie Nguyen am Sonntag beim Barren-Finale. Der 23-Jährige vom TSV Unterhaching hatte die Übung an seinem Spezialgerät mit dem schon legendären Tsukahara beendet. Nguyen ist der einzige Turner auf der Welt, der diesen Abgang zeigt. Er hatte ihn nicht optimal ausgeführt, noch während der Übung war er nicht mal sicher, dass er ihn überhaupt präsentieren würde, aber dann sagte er sich: „Ich riskiere es.“ Ein bisschen Show muss schon sein.

Die deutschen Turner sind hier ja auch quasi auf einer Mission. Es geht um das Ansehen und die Attraktivität des deutschen Kunstturnens. Deshalb brachte Hirsch das notwendige Pathos ins Spiel. „Wir haben den Adler auf der Brust. Wir turnen hier für Deutschland, wir wollen auch zeigen, das man in Deutschland gut turnt.“ Einer wie Boy ist da ganz auf Hirschs Linie. „Unser größtes Ziel ist es, das deutsche Turnen voranzubringen und Werbung für unseren Sport zu machen.“ Und eine Qualifikation ist da nicht bloß ein bisschen Schattenboxen und Warmmachen für den großen Auftritt. „Wir stehen hier alle am Punkt null, wir müssen alle im eigenen Team für die Finalteilnahme hart kämpfen“, sagte Boy. „Da spielt es keine Rolle, ob Du Weltmeister oder Vizeweltmeister bist. Da gibt es keinen Bonus.“

Er hat die Hand an der Goldmedaille am Reck, aber trotzdem muss er sich noch steigern. Seine Übung hatte er nicht ohne Patzer geliefert, genauso wenig wie Nguyen, der am Reck Haltungsmängel hatte und einfach unsauber turnte. Aber er hatte einen hohen Ausgangswert, das brachte ihn am Ende doch auf Rang drei am Reck. „Meine Übung ist fast um einen Punkt schwerer als die von 2010“, sagte er. „Aber ich habe noch Möglichkeiten, mich zu steigern.“

Irgendwann trat Boy mal fast unmerklich von einem Bein aufs andere, es war schon spät, er wollte jetzt zu seinem Physiotherapeuten und dann ins Bett. Er hatte nur noch 18 Stunden bis zum Mehrkampf-Finale, „da zählt jetzt jede Stunde, in der ich mich ausruhen kann“. Auch Hirsch sagte, nun die Stirn leicht in Falten, gelegt: „Na ja, das größte Problem wird jetzt die knappe Zeit sein, die wir noch bis zum Finale im Mehrkampf haben.“

Bis zum Reckfinale ist noch mehr Zeit, das steigt erst am Sonntag. Das ganz große Ziel des Philipp Boy. Über seine Taktik wird er sich dann keine Gedanken mehr machen. Die ist so einfach wie spannend: „Volles Risiko.“

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