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Sport: Eine kleine Ehrenrunde

Andreas Dittmer gewinnt doch noch Gold

Athen - Als Andreas Dittmer den gesamten Parcours an TV-Interviews, Siegerehrung, Hymne und Pressekonferenz fast emotionslos absolviert hatte, wurde er für seine Verhältnisse extrem ungehalten: „Das muss ich als Athlet doch einmal sagen: Die Zuschauer hier kommen quer durch Europa angereist. Und dann kommt man nicht einmal an sie heran.“ Vor die Tribüne wollte Dittmer nach seinem überraschenden Olympiasieg im Einer-Canadier über 500 m noch ein wenig winken und Hände schütteln, aber man ließ ihn nicht. „Dabei hätte eine kleine Ehrenrunde sicher niemandem hier geschadet“, sagte der 32-Jährige. Doch selbst bei diesem Satz hatte sich Dittmer unter Kontrolle. Nur ein einziges Mal hatte er eine Regung gezeigt: direkt nach der Zieleinfahrt, als er den Spanier David Cal eine Drittelsekunde hinter sich gelassen und sein drittes olympisches Gold erpaddelt hatte. Es war der schönste Olympiasieg für Dittmer. Weil er so unerwartet war.

Nach dem zweiten Platz tags zuvor auf seiner Lieblingsstrecke über 1000 m war Dittmer erst einmal ein erschütterter Mann gewesen. „Ich bin drei Sekunden unter dem alten Weltrekord geblieben, und trotzdem hat ein anderer gewonnen“, erzählte Dittmer. David Cal, der Spanier. Als Dittmer allein im Bus saß, auf der Fahrt ins Olympische Dorf, hatte er Zeit, zu überlegen, was es bedeutete, auf der Strecke, die er zuvor vier Jahre lang beherrscht hatte, trotz herausragender Zeit besiegt worden zu sein. Es waren schwere Gedanken, und auch „die eine oder andere Träne“ verdrückte der Neubrandenburger. Dittmer beweinte sein olympisches Schicksal.

Am Tag darauf aber hatte Dittmer „den Willen und die Kraft“ zum eindrucksvollen Rückschlag. Dass er dabei David Cal, seinen Peiniger vom Freitag, im Schlussspurt auf Distanz hielt, machte das Erlebnis noch erhebender. „Ich habe schon viele gute Rennen über 500 Meter gemacht“, sagte Dittmer. „Aber das hier war das größte.“

Am Ende sah sich Dittmer, der seit Januar wie ein Vollprofi trainiert und seitdem rund 5000 Kilometer im Kanu verbracht hat, für all die Mühen belohnt. „Obwohl ich 80 Prozent meiner Energie, meines Trainingsaufwands auf die 1000 Meter gelegt hatte.“ Ob er sich an seiner Paradestrecke in vier Jahren in Peking noch einmal versucht, ist noch offen. „Ich plane von Jahr zu Jahr“, sagte Andreas Dittmer dazu. Allerdings weiß er schon jetzt: „Ich will nicht irgendwann als Sechster und mit großem Rückstand abtreten, sondern mit erhobenem Haupt.“ Gestern hatte der Mann erst einmal sein Haupt gesenkt. Nach der Siegerehrung, vor dem Publikum auf der anderen Seite der Rennstrecke. Wenn er schon keine Ehrenrunde drehen durfte.

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