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Sport: Eine Liga packt ein

Die Absage der NHL-Saison könnte dem amerikanischen Profi-Eishockey dauerhaft schaden

Berlin - Es war 13 Uhr, als Gary Bettman am Mittwoch einen Konferenzraum eines New Yorker Hotels betrat. Kurze Zeit, nachdem der Commissioner der National Hockey League (NHL) in die Kameras gesagt hatte, was zu sagen war, gab er einen Einblick in seine Gefühlslage. „Ich fasse das, was ich eben gesagt habe, zusammen: Es ist schrecklich.“ Bettman hatte kurz zuvor die komplette Saison in der Eishockey-Profiliga abgesagt. Eine Saison, die bereits im Oktober 2004 hätte beginnen müssen. Weil es in der NHL keine Einigung bei der Einführung einer Obergrenze für die Spielerbudgets („Salary Cap“) gab, ist erstmals eine Spielzeit einer nordamerikanischen Profiliga einem Arbeitskampf zum Opfer gefallen.

In den vergangenen Jahren hatten sich in der NHL die Klubs im Ringen um die Stars immer häufiger überboten. Mit dem Resultat, dass Spieler wie der Tscheche Jaromir Jagr elf Millionen Dollar pro Saison verdienten. Jagrs letztes Team, die New York Rangers, gab vergangene Saison allein 70 Millionen Dollar für Spielergehälter aus. Die Explosion der Gehälter hat 2002/03 den Klubs Verluste von 273 Millionen Dollar gebracht. Pat LaForge, Präsident der Edmonton Oilers, sagte der kanadischen Tageszeitung „The Globe and Mail“: „Wir haben zuletzt 75 Cent von jedem eingenommenen Dollar an die Spieler weitergeleitet. Das war ein krankes Geschäft.“

Dabei hatte es im Streit um die Einführung einer Grenze für die Spielerbudgets zuletzt noch nach einer Einigung ausgesehen. Gewerkschaftschef Bob Goodenow hatte angeboten, pro Team auch mit 49 Millionen Dollar Budget zufrieden zu sein. Doch für die NHL sollte bei 42,5 Millionen Dollar Schluss sein. NHL-Star Olaf Kölzig, bisher im Tor der Washington Capitals und jetzt bei den Berliner Eisbären in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL), findet, „dass die Klubbesitzer schuld an der Absage sind. Wir Spieler sind der Liga doch entgegengekommen“. Wohl nicht weit genug. Denn nun wird Kölzig von seinem NHL-Jahresgehalt (6,25 Millionen Dollar) nicht viel sehen. Vergleichsweise wenig bekommt er von der Gewerkschaft und von den Eisbären für den Rest der Saison. Dabei geht es ihm und mehr als 350 in Europa beschäftigten NHL-Profis noch gut. Rund 400 Spieler aus der NHL werden keinen Arbeitsplatz mehr finden, weil nur in der Schweiz noch nicht Transferschluss ist.

Doch arbeitslose Millionäre sind noch das geringste Problem des amerikanischen Eishockeys: Die Saisonabsage in der NHL kostet Arbeitsplätze, Geld und die Sportart Reputation: Bei den 30 NHL-Klubs wurden die meisten Angestellten entlassen. Die Vereine, die im Schnitt 17 000 Dauerkarten verkauft haben, müssen nun das Geld zurückzahlen – bis zu 4500 Dollar kostet ein Saisonticket. Allein die Oilers verlieren laut Präsident LaForge dieses Jahr elf Millionen Dollar, weil nicht gespielt wird. Und nicht zuletzt: Eine Liga, die nicht spielt, spielt keine Rolle im Bewusstsein der Öffentlichkeit. TV-Anstalten haben die für die NHL geplanten Sendezeiten mit Pausenfüllern wie Hallenfußball besetzt. Zwei Drittel sagten in den USA in einer Umfrage, dass es ihnen egal sei, ob die NHL in dieser Saison noch spiele.

Was traurig für nordamerikanische Eishockey-Fans ist, betrachtet mancher Anhänger der Sportart in Europa als Glücksfall. NHL-Spieler werten eine Liga wie etwa die DEL auf. Und der Glaube der ausgewanderten Stars, dass in der NHL bald wieder gespielt wird, ist gering. Nationalspieler Marco Sturm (Ingolstadt) hat sein Haus im kalifornischen San José verkauft: „Da im Sommer keine Gespräche zwischen Klubs und Spielergewerkschaft stattfinden werden, wird der Arbeitskampf in den Herbst getragen.“ Olaf Kölzig sagt: „Jetzt sieht es so aus, als würde ich auch in der kommenden Saison in der DEL spielen.“

Selbst wenn kommende Saison in der bisher besten Eishockey-Liga der Welt wieder gespielt wird, bleibt die Frage, ob eine NHL mit niedrigeren Gehältern Stars noch interessiert. Auch in Europa wird gut gezahlt. Der russische Verein Bars Kazan gibt diese Saison 65 Millionen Dollar für Spieler aus. Jagr verdient bei Ligakonkurrent Omsk eine Million pro Monat.

Es ist gut möglich, dass am Mittwoch nicht nur die Saison in der NHL verabschiedet wurde, sondern dass sich eine ganze Liga in ihrer bisherigen Form für immer verabschiedet hat.

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