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Zwischen Euphorie und Absturz. Titelverteidigerin Francesca Schiavone steht bei den French Open unter Druck; wenn sie in Paris versagt, droht der tiefe Fall. Foto: dpa

© AFP

Sport: Eine Tüte voll Geschichte

Seit ihrem Sieg in Paris lebt Francesca Schiavone als Italiens Nationalheldin

Spät am Abend des 5. Juni 2010, da war Francesca Schiavone noch einmal zurückgeschlichen auf den Court Philippe Chatrier in Roland Garros. Jenem Tennisplatz, den sie geküsst, mit dem sie gesprochen und dem sie gedankt hatte für den größten Moment ihres Lebens. Auf dem sie, obwohl sie doch schon fast 30 Jahre alt war, nicht nur ihren ersten Grand-Slam-Titel gewann, sondern auch den ersten überhaupt für Italien. Und als ob es für sie eines letzten Beweises bedurft hätte, kratzte sie sich rote Asche zusammen und trug sie in einer Tüte hinaus. Ein Tüte voll Geschichte.

Nun ist sie zurück in Roland Garros. Gestern begannen die French Open 2011.

Schon als Kind träumte Schiavone von einem Sieg bei dem Turnier, dem größten und traditionsreichsten Sandplatzturnier der Welt. Doch sie musste lange auf die Erfüllung warten. Auch im vergangenen Jahr hatte niemand mit ihr in Paris gerechnet, warum auch? Nie war Schiavone in ihren 14 Profijahren in Paris weiter als bis ins Viertelfinale vorgedrungen, und das war auch schon fast ein Jahrzehnt her. Doch die Frau, die mit enormem Spielwitz und dabei noch so leidenschaftlich spielt, hatte fest an ihren Erfolg geglaubt. „Ich bin lange nicht bereit gewesen“, sagte Schiavone damals. Doch sie spürte, dass ihre Zeit nun endlich gekommen war.

Schlagartig war die Spätberufene nach dem überraschenden Triumph von Paris zur Volksheldin ihrer Heimat geworden. Sogar Italiens Präsident Giorgio Napolitano hatte ihr telefonisch zu ihrem Meisterstück gratuliert. Von ihren Landsleuten wird Schiavone seither so verehrt wie sonst nur Fußballer. Als sie kürzlich beim Turnier in Rom das Foro Italico verließ, das direkt auf dem Gelände des Olympiastadions liegt, wurde sie von ein paar hundert Anhängern des AS Rom umringt. Sie bettelten um Autogramme, wollten ein Foto von sich und ihrer „Francesca nazionale“. „Das war einfach unglaublich“, erzählte Schiavone, „früher wäre das nie passiert, da haben sich ohnehin nur wenige für Tennis interessiert.“

Doch nun ist der Rummel um sie gewaltig. Und das liegt auch an den lukrativen Werbeverträgen, die sie erhalten hat. Vorher hatte sie nie welche gehabt. Dennoch brauchte sie eine Weile, bis sie den Personenkult verkraftet hatte.

Wenn ihr alles zu viel wird, flieht sie in die heile Welt von Passirano, ein Städtchen in der Lombardei. Dort leben ihre Großeltern, es ist auch der Heimatort ihrer Mutter Luiscita. In der 7000-Seelen-Gemeinde kennt jeder jeden, dort ist sie einfach Francesca. „Man steht hier nicht unter Druck wie in einer Großstadt“, sagt Schiavone, „und hier geht es nicht nur um Tennis, Tennis, Tennis.“

Die Nestwärme braucht sie auch mit fast 31 Jahren noch, wie auch „Brodo“, die spezielle Hühnersuppe ihrer Mutter. In Mailand wohnt sie nach wie vor mit ihren Eltern zusammen. „Ich fühle mich wie ein Baby“, sagt sie, „aber ich fühle auch so viel Liebe, wie man nur bekommen kann. Es ist mein Zuhause, und ich muss keine lästigen Fragen beantworten.“ Zuletzt hatte es viele davon gegeben, denn sie konntenicht mehr an die Leistungen aus Paris anknüpfen. Ein Halbfinale in Tokio im letzten Herbst war schon alles. In Melbourne rang sie im Achtelfinale Swetlana Kusnezowa 16:14 im dritten Satz nach fast fünf Stunden nieder. Länger hatte kein Frauenmatch bei einem Grand Slam je gedauert. Schiavone hatte alles in diese Partie gelegt, was sie ausmacht – Stärke, Fitness und unbändiger Wille –, doch es blieb ein Aufblitzen. Sie fand in den vergangenen Monaten keinen Rhythmus, und so scheint fraglich, ob Francesca Schiavone eine Chance hat, ihren Titel zu verteidigen.

Zudem lastet nun der immense Erwartungsdruck auf ihr. Durch ein frühes Aus würde sie in der Weltrangliste von Platz fünf fast ins Bodenlose abstürzen. „Ich habe zuletzt sehr oft verloren, und die Konkurrentinnen sind noch bedingungsloser geworden“, sagte Schiavone. „Aber es geht nicht bloß um Tennis. Es geht darum, wie man den Druck spürt, den eigenen Körper. Ich weiß einfach, dass ich diese Qualität habe, das ist doch ein guter Anfang.“ Und vor allem weiß sie, dass ihr die schönen Erinnerungen bleiben.

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