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Sport: Eine ungewollte Mitgift

Nicht ganz freiwillig lässt das neue BMW-Team Jacques Villeneuve bei sich fahren – es ist die letzte Chance des früheren Weltmeisters

So wie Jacques Villeneuve im Moment muss sich ein Scheidungskind fühlen. Der Kanadier, immerhin Formel-1-Weltmeister von 1997, schaut mit verstohlenem Blick zur Seite, doch sein neuer Vormund ignoriert ihn so gut es eben geht. Mario Theissen gibt sich nicht besonders viel Mühe dabei, Villeneuve als den Piloten seiner Träume darzustellen. Während der Vorstellung des neuen Rennstalls BMW-Sauber in Valencia in der vergangenen Woche wich der Teamchef Villeneuve weitgehend aus und suchte stattdessen lieber die Nähe Nick Heidfelds. Der Deutsche ist Theissens erklärter Wunschfahrer; er holte ihn einst schon gegen den Widerstand des damaligen BMW-Partners Williams an Bord und brachte ihn nun auch in die Ehe mit Sauber ein. Jacques Villeneuve dagegen ist die ungewollte Mitgift des Partners Sauber, und das bekommt er deutlich zu spüren.

Die Beziehung zwischen dem charismatischen Querkopf und dem Münchner Autobauer hat nicht besonders glücklich angefangen. Es gab einige Gründe, die dafür sprachen, Jacques Villeneuve beim neuen BMW-Sauber-Team fahren zu lassen und viele dagegen. Zum Beispiel, dass der Kanadier nur noch selten an der Spitze des Feldes aufgetaucht ist, seit er 1998 das Weltmeisterteam Williams verließ. Und dass er in der abgelaufenen Saison erhebliche Probleme mit der neuen Technik in der Formel 1 offenbarte. Das alles hat Theissen bedacht, als er einen geeigneten Partner für Nick Heidfeld suchte. „Wir haben uns viel Zeit mit Jacques gelassen“, sagt der Teamchef. Am Ende hatte Villeneuve wohl das wichtigste Argument auf seiner Seite: das Geld. Einen zweistelligen Millionenbetrag hätte es BMW dem Vernehmen nach gekostet, den Vertrag des 34-Jährigen mit dem Vorgängerteam Sauber zu lösen – eine Summe, die Theissen verständlicherweise lieber in den Aufbau des Rennstalls investieren möchte. So erhält Villeneuve nun eine weitere Chance in der Formel 1. Es könnte seine letzte sein.

Mario Theissen jedenfalls machte selbst bei der offiziellen Teampräsentation nicht den Versuch, einen anderen Eindruck zu erwecken. Recht unzweideutig arbeitete er vor Sponsoren und Fernsehkameras aus aller Welt heraus, dass Villeneuve genau diese Saison Zeit hat, sich für ein weiteres Engagement zu empfehlen. „Wir brauchen 2006 die besten Resultate, die wir kriegen können“, sagte er. „Und dann sehen wir mal weiter.“ Mit dem jungen Polen Robert Kubica baut BMW vorsichtshalber schon einmal einen geeigneten Nachfolger auf.

Besonders gestresst wirkt Villeneuve angesichts des Leistungsdrucks nicht. Er kennt diese Situation, seit einigen Jahren schon wird jede Saison als seine letzte in der Formel 1 ausgerufen. „So geht das schon eine ganze Weile“, sagt Villeneuve. „Bis jetzt habe ich alle Lügen gestraft, und ich hoffe, das geht so weiter.“ Außerdem sei es immer noch besser, nicht mehr zu gewinnen, als noch nie gewonnen zu haben. Der noch sieglose BMW-Held Heidfeld darf sich angesprochen fühlen.

Um auch diesmal alle Lügen zu strafen, wird Villeneuve jedoch ein wenig mehr tun müssen, als nur schnell Auto zu fahren. Sein starker Charakter, den er in der vergangenen Saison unter anderem mit öffentlicher Kritik an seinem Wagen zum Ausdruck brachte, ist mit der teamorientierten Unternehmenspolitik des Autobauers schwer vereinbar. Schon in Valencia zeigte der Kanadier, dass er auch im Alter von 34 Jahren nicht gewillt ist, sich einer Corporate Identity unterzuordnen. Als die Modekollektion des Teams vorgestellt wurde, fiel ihm, wie immer gekleidet in einen unvorteilhaft sitzenden, viel zu großen Rennoverall, dazu nur folgendes ein: „Ich würde so etwas nicht anziehen.“

Immerhin verspürt Villeneuve „große Motivation“ angesichts seiner Aufgabe als Entwicklungshelfer des neuen Teams, und Mario Theissen macht ihm ein wenig Mut. „Wir haben zwei Nummer-1-Piloten“, sagt der Teamchef. „Beide Fahrer werden gleich behandelt und kriegen das gleiche Material.“

Der Vorfall bei der Jungfernfahrt des Autos muss demnach Zufall gewesen sein. Nach einer holprigen Runde steuerte der weiße BMW wieder die Box an, wo das Getriebe direkt unter der Vip-Tribüne sein kurzes Dasein mit dem Ausstoß einer weißen Rauchwolke beendete. Aus dem Auto stieg kopfschüttelnd der Pilot. Es war Jacques Villeneuve.

Christian Hönicke[Valencia]

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