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Sport: Einer trage des anderen Schuld

Schiedsrichter Felix Zwayer hat Robert Hoyzers Betrug aufgedeckt – nun wird er selbst unter Verdacht gestellt. Wichtigster Belastungszeuge: Robert Hoyzer

Berlin - Robert Hoyzer ist ein verurteilter Betrüger. Am Donnerstag hat das Landgericht Berlin eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten gegen den ehemaligen Fußball-Schiedsrichter verhängt. Die Staatsanwaltschaft hält Hoyzer für einen netten, aufrichtigen Betrüger. Allein seiner Aussage sei es zu verdanken, dass Deutschland vor der Weltmeisterschaft ein Mammut-Prozess erspart wurde, hat Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Fätkinhäuer in seinem Plädoyer gesagt. Fätkinhäuer hat nicht gesagt, wem er es verdankt, dass es überhaupt zu einem Prozess gekommen ist. Felix Zwayer hat den Deutschen Fußball-Bund (DFB) im Januar dieses Jahres über das falsche Spiel seines Schiedsrichterkollegen Hoyzer informiert. Der Berliner Schiedsrichter Olaf Blumenstein sagt über ihn: „Man müsste Felix einen Orden umhängen.“

Felix Zwayer hat keinen Orden bekommen, sondern jede Menge Ärger. Die Staatsanwaltschaft hat gegen ihn ermittelt, der Vorsitzende des DFB-Kontrollausschusses nennt ihn einen Lügner. Seine Schiedsrichterkarriere darf er nicht fortsetzen. Denn Hoyzer hat nicht vergessen, wer ihn angezeigt hat. Er behauptet, Zwayer habe ihm für 300 Euro beim Manipulieren geholfen. Einziger Zeuge für Verbrechensverabredung und -durchführung, für Honorarverhandlung und -übergabe ist Robert Hoyzer. Der Mann, der Zwayer seine Enttarnung verdankt. Der Mann, dessen Glaubwürdigkeit das Landgericht angezweifelt hat. Lutz Michael Fröhlich, der Doyen der Berliner Schiedsrichter, sagt: „Dem Täter wird mehr geglaubt als dem Aufklärer. Das ist doch eine verkehrte Welt!“

Zwayer und Hoyzer kennen sich seit 1994. Sie zählten zur Elite förderungswürdiger Schiedsrichter. Gemeinsam spielten sie Fußball in der Kirchenligamannschaft der JG Lichtenrade-Nord. Im Prozess sagt Hoyzer: „Ich war oft mit Felix unterwegs. Wir hatten viel Spaß.“ Zwayer sagt: „Wir hatten ein kollegiales Verhältnis. Freunde waren wir nicht.“

Am 22. Mai 2004 gehört Felix Zwayer zum Schiedsrichterteam, als Hoyzer beim Regionalligaspiel zwischen dem SC Paderborn und dem Chemnitzer FC seinen ersten Manipulationsversuch unternimmt. 8000 Euro hat der Wettmanipulator Ante Sapina ihm für den Fall versprochen, dass Paderborn gewinnt und auch zur Halbzeit führt. Doch Chemnitz hält gut mit, die erste Halbzeit ist fast vorbei und das viele Geld in weiter Ferne. Der Zufall kommt Hoyzer zu Hilfe. Ein Chemnitzer Foul vor dem Strafraum nutzt er zum Elfmeterpfiff. Seine Assistentin Inka Müller aber hat genau gesehen, wo der Tatort wirklich war. Sie winkt Hoyzer zu sich an die Seitenlinie. Er nimmt den Elfmeter zurück. Im Zug nach Berlin diskutieren die Schiedsrichter über die Rücknahme des Elfmeters. Hoyzers Vater ruft an. Er hat die Szene im Fernsehen studiert. Nach dem Gespräch wendet Hoyzer sich Inka Müller zu und hebt den Daumen. „Du hattest Recht, es war kein Elfmeter.“ Im Prozess wird Hoyzer eine andere Begebenheit von der Rückfahrt erzählen. Er will eine kurze Abwesenheit Inka Müllers ausgenutzt haben, um Zwayer die missglückte Manipulation zu gestehen und ihn gleichzeitig als Helfer für die Zukunft zu gewinnen. Zwayer habe sofort zugesagt. In seiner staatsanwaltlichen Vernehmung vom 11. März 2005 schildert Hoyzer zudem, wie er Zwayer die 8000 Euro gezeigt haben will. Geständnis, Anwerbung, Zusage, die Prahlerei mit dem Geld – das ist ein ehrgeiziges Programm für gut zwei Minuten, in denen die beiden unter sich waren, stets der Gefahr ausgesetzt, Inka Müller könnte hereinplatzen. Im Prozess wird dieses Detail nicht angesprochen.

Eine Woche später sind Müller, Zwayer und Hoyzer wieder im Einsatz, beim Spiel zwischen dem Wuppertaler SV und Werder Bremens Amateuren. Es ist ein besonderer Tag für Zwayer. Am Tag zuvor hat er von seinem Aufstieg in den Rang eines DFB-Schiedsrichters erfahren, in der kommenden Saison soll er als Assistent in der Zweiten Liga eingesetzt werden. Hoyzer wird später im Prozess erzählen, Zwayer sei so euphorisch gewesen, dass er, ohne zu zögern, auf das Manipulationsangebot eingegangen sei. 300 Euro will Hoyzer ausgezahlt haben, zur Stückelung der Geldscheine macht er unterschiedliche Angaben. Im Spiel habe Zwayer wunschgemäß Bremen benachteiligt – wie genau das passiert sein soll, wisse er nicht mehr. Das Spiel endet mit dem von Sapina bestellten Wuppertaler Sieg. Der einzige Aufreger ist der von Hoyzer zu Unrecht gegebene Elfmeter zum Siegtor, aber diese Szene ereignet sich nicht in der Platzhälfte, die Zwayer beaufsichtigt.

Wieder geht es mit dem Zug zurück nach Berlin. Inka Müller verschwindet kurz auf der Toilette. Sie will sich für eine Schiedsrichter-Party am Abend umziehen. Zwayer erinnert sich: „Robert hat einen Umschlag aus seinem Jackett geholt, mir viele Geldscheine gezeigt und gesagt: Das kann man auch aus einem Spiel machen.“ Hoyzer hat 3000 Euro von Sapina bekommen, diesmal darf er das Geld behalten. Zwayer sagt, ihm sei in diesem Augenblick vieles durch den Kopf gegangen, „aber an Manipulation habe ich nicht gedacht. Wuppertal und Bremen waren in der Tabelle jenseits von Gut und Böse.Von Wetten hat keiner was geahnt.“

Gegen zehn Uhr stoßen die drei zu der Party an der Steglitzer Schildhornstraße. Es ist nach Mitternacht, als Zwayer eine letzte Runde auf seinen DFB-Aufstieg bestellt und die Rechnung gleich dazu. Andreas Pretzsch, wie Hoyzer und Zwayer Schiedsrichter bei Hertha BSC, erinnert sich: „Felix stand an der Theke und wollte zahlen, da kam Robert. Er war betrunken, hat Geldscheine auf den Tisch geworfen und ist in sein Taxi gestiegen.“ Zwayer hat die Szene später vor dem DFB-Kontrollausschuss geschildert und erzählt, „da könnte er was gegen mich in der Hand haben, er hat meine Rechnung bezahlt“. Hoyzer verliert in seiner drei Tage währenden Einlassung vor dem Landgericht kein Wort über diesen Abend.

Am 12. Juni, also 14 Tage später, lädt Hoyzer Zwayer und zwei weitere Schiedsrichter, Lars Getschmann und Christoph Marschner, in ein Restaurant am Savignyplatz ein. Nach der Sommerpause will er ein Studium in Braunschweig beginnen. Hoyzer begleicht die Rechnung über 277,30 Euro und bittet noch ins Café King zu einem letzten Getränk, einem „Absacker“, den er oft und gern bei seinen kroatischen Freunden einnimmt. Getschmann hat sich schon verabschiedet, da stellt sich Ante Sapina an den Tisch zu Zwayer und Marschner: Im Prozess wird der Wettmanipulator später sagen: „Robert war auf der Toilette und der andere abgelenkt, da hat Felix mir augenzwinkernd gesagt, dass er bei der Manipulation in Wuppertal beteiligt war.“ Christoph Marschners Erinnerung ist eine andere: „Ich kann ausschließen, dass Felix eine entsprechende Bemerkung gemacht hat. Das hätte ich auf jeden Fall gemerkt.“

Am 22. Oktober soll Zwayer mit seinem Berliner Kollegen Manuel Gräfe das Spiel zwischen Rot-Weiss Essen und dem 1. FC Köln leiten. Am frühen Nachmittag ruft Hoyzer an. „Er hat gesagt: Mensch, Felix, ich bin hier in der Nähe, ich pfeife in Ahlen. Bisher passt mein Schein, jetzt muss nur noch Köln gewinnen. Kannst du nicht mal im richtigen Augenblick die Fahne unten lassen?“ Mein Schein passt gut – diesen Satz kann Zwayer nicht vergessen. Er habe geantwortet: „Du hast dein Spiel, ich habe meins. Bei mir ist es so, dass die bessere Mannschaft gewinnt. Auf Wiederhören!“ Hoyzers Version vor Gericht klingt anders: Er habe Zwayer 500 Euro angeboten, dazu 1000 Euro für Gräfe. Zwayer aber habe sich nicht festlegen wollen.

Als Zwayer nach dem Spiel in Essen nach Hause kommt, erzählt er seinem WG-Mitbewohner: „Du, der Hoyzer hat mich angerufen. Der wollte, dass ich das Spiel verschiebe.“ Zwayer ist verunsichert. Wie kommt das beim DFB an, wenn er einen Kollegen anzeigt? Denkt dann nicht gleich jeder, er wolle auf dessen Kosten nach oben kommen? Und wenn Hoyzer nun behauptet, alles sei ein Scherz gewesen – steht er dann nicht wie ein Trottel da? Dazu sperrt er sich gegen die Einsicht, ein Schiedsrichter würde Spiele manipulieren. So wird es später noch vielen seiner Kollegen gehen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Dieser Mentalität verdankt es Hoyzer, dass er trotz frühzeitiger Hinweise so lange manipulieren kann.

Am 3. Dezember ist Zwayer mit dem mittlerweile ebenfalls wegen Betrugs verurteilten Schiedsrichter Dominik Marks für das Zweitligaspiel zwischen dem Karlsruher SC und dem MSV Duisburg angesetzt. Beim Mittagessen habe Marks gefragt: „Hast du schon mal gehört, dass man sich bei einem Spiel was dazuverdienen kann?“ Zwayer antwortet: „Ich bin Azubi und verdiene 600 Euro im Monat. Für dieses Spiel hier kriege ich 750 Euro Honorar, das ist mein Zusatzverdienst.“ Da klingelt Marks’ Handy. Die Unterredung mit Zwayer ist beendet.

Marks bekommt für den Duisburger 3:0-Sieg 23 000 Euro von Ante Sapina, will aber nicht manipuliert haben. Schiedsrichter-Beobachter Eugen Strigel gibt Marks die sehr gute Note 8,5 und attestiert dem Team eine fehlerfreie Leistung.

Neue Geschichten um Robert Hoyzer machen die Runde. Er hat seiner Freundin einen 1500 Euro teuren Ring gekauft und dazu gesagt: „Um Geld muss ich mir keine Sorgen machen.“ Gräfe erinnert sich daran, dass zuletzt viele der von Hoyzer geleiteten Spiele durch umstrittene Pfiffe entschieden wurden. Er fragt Zwayer nach seiner Meinung. Auf so ein Signal hat der junge Schiedsrichter gewartet. Er erzählt von Hoyzers Anwerbeversuchen. Gräfe sagt: „Das Puzzle passt.“ Sie informieren Fröhlich und nehmen ihr Wissen mit in die Weihnachtspause. Am 9. Januar, beim Hallenturnier in Riesa, versucht es Hoyzer noch einmal bei Zwayer: „Mach doch mal mit, da kann man richtig Geld machen.“ Zwayer informiert seine Berliner Kollegen. Fröhlich sagt: „Felix, ich muss das melden. Trägst du die Konsequenzen?“ Zwayer nickt. Fröhlich wartet noch das Schiedsrichtertreffen in Frankfurt am Main ab, dann ruft er beim DFB an.

Zwayer, Fröhlich und Hoyzer werden für den 21. Januar nach Frankfurt bestellt. Der DFB bucht für den Hauptverdächtigen und den Hauptbelastungszeugen denselben Flug, platziert beide im selben Warteraum. Zwayer wird vom Schiedsrichter-Ausschuss mit seiner Aussage konfrontiert. Er bestätigt. Dann geht es weiter zum Kontrollausschuss-Vorsitzenden Horst Hilpert. Mitten im Gespräch kommt ein DFB-Mitarbeiter rein und sagt: „Hoyzer streitet alles ab. Du musst noch mal zum Schiedsrichterausschuss.“

Schiedsrichter-Chef Volker Roth fragt Zwayer, ob er bei der Aussage bleibe. „Ja.“ Zwayer geht zurück zu Hilpert. Der sagt: „Wenn Sie Angst haben: Ich kümmere mich um Sie.“ Dann soll er gehen, „der Hoyzer wartet vor der Tür“. Zwayer verlässt Hilperts Büro durch eine Nebentür und fährt weiter nach Trier, wo er am nächsten Tag mit Gräfe ein Zweitligaspiel leitet. Es ist bis heute sein letztes. Als sie nach dem Spiel auf dem Weg zum Flughafen sind, ruft Gräfes Freundin an und erzählt, was sie im Videotext gelesen hat: Der DFB hat seinen Verdacht gegen Hoyzer öffentlich gemacht. Zwayer hat Angst. „Keiner wusste, welche Hintermänner Robert hatte. Aber er wusste, wer ihn verraten hat.“ Er verbringt die Nacht bei seinen Eltern. Am nächsten Morgen fährt er weiter. Vier Tage bleibt er auf Rügen.

Bodo Brandt-Chollé, Schiedsrichter- Ansetzer des Berliner Fußball-Verbandes, telefoniert mit Hoyzer. „Ich habe gesagt: Robert, wenn du unschuldig bist, muss du dir keine Sorgen machen. Robert hat geantwortet: Wenn ich schuldig bin, nehme ich so viele Leute mit wie möglich.“ Kurz darauf gesteht er und belastet weitere Schiedsrichter, unter anderem Felix Zwayer. Die Staatsanwaltschaft eröffnet ein Ermittlungsverfahren.

Zum 23. März wird Zwayer vor den DFB-Kontrollausschuss geladen. Es geht um Dominik Marks und das vermeintlich manipulierte Spiel Karlsruhe – Duisburg. Kontrollausschuss-Chef Hilpert steht unter Druck. Die Presse kritisiert seine Rolle bei der Aufklärung des Skandals, er habe frühe Hinweise auf Hoyzers Treiben ignoriert. Der Mann, der Zwayer Hilfe zugesagt hatte, braucht ein Erfolgserlebnis, eine schnelle Verurteilung von Marks. Dafür braucht er Zwayer. Der 23-Jährige aber reagiert anders, als die älteren Herren sich das wünschen: Er habe Marks’ Frage nach Zusatzverdiensten nicht als Angebot zur Manipulation aufgefasst, sagt Zwayer. „Soll ich mich hinstellen und sagen, Marks hat mich zu Manipulationen angestiftet, damit Sie es einfacher haben?“ Karlsruhes Anwalt Christoph Schickhardt fährt ihn an: „Sie lügen doch!“ Hilpert pflichtet ihm bei: „Sie hängen da mit drin!“ Kommentarlos verlässt Zwayer die Verhandlung. Dominik Marks wird später im Prozess aussagen, er habe kein Anwerbegespräch mit Zwayer geführt.

In Berlin fragt Hoyzer einen Bekannten: „Wie geht’s Felix, arbeitet er schon wieder?“ Zwayer arbeitet nicht nur, er legt seine Prüfung zum Immobilienkaufmann ab. Am 17. Oktober, einen Tag vor Beginn des Prozesses, stellt der Staatsanwalt das Verfahren gegen Zwayer ein, nach Paragraf 153/1 der Strafprozessordnung. Der macht eine Einstellung möglich, wenn trotz weiterer Ermittlungen maximal eine geringe Schuld herauskommen könnte, wahrscheinlich keine. Der DFB setzt Zwayer auf seine Schiedsrichterliste, aber pfeifen darf er nicht. DFB-Präsident Theo Zwanziger sagt: „Die Welt ist noch nicht ganz in Ordnung.“

Besteht der Kontrollausschuss auf einem Verfahren? Das wäre nicht ohne Reiz. Der DFB müsste Zeugen laden – der einzige, der Zwayer belastet, ist Hoyzer. Kann der DFB einen Prozess führen gegen den Aufklärer der Affäre, mit dem obersten Betrüger als wichtigstem Belastungszeugen? Zwanziger hält Hoyzer im Fall Zwayer „noch für relativ glaubwürdig“.

Hoyzer hat in seinem Schlusswort vor dem Landgericht um eine zweite Chance gebeten. Im Kirchenligateam JG Lichtenrade-Nord wird er sie bekommen. Als Spieler. Zum Januar läuft seine Sperre ab. Der Mannschaftsleiter ist ein guter Freund von Hoyzer, er will ihn resozialisieren. Felix Zwayer ist nicht gefragt worden, ob er mit dem Mann zusammenspielen will, dem er ein juristisches Verfahren und die Aussetzung der Schiedsrichterkarriere verdankt. Zwayer wird ab Januar für eine andere Mannschaft spielen.

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