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Sport: Einfach unberechenbar

Von Michael Rosentritt Ulf Kirsten konnte noch nie gut verlieren. Neulich erst, beim Pokalfinale in Berlin, als Leverkusen mal wieder einen Titel verspielt hatte, mochte der Stürmer nicht mal mehr dem Bundespräsidenten die Hand schütteln.

Von Michael Rosentritt

Ulf Kirsten konnte noch nie gut verlieren. Neulich erst, beim Pokalfinale in Berlin, als Leverkusen mal wieder einen Titel verspielt hatte, mochte der Stürmer nicht mal mehr dem Bundespräsidenten die Hand schütteln. Den von ihm als demütigend empfundenen Gang hin zu Johannes Rau ersparte er sich und verschwand noch vor der Siegerehrung in der Kabine. Sein Trainer Klaus Toppmöller sprach von einer „bodenlosen Unverschämtheit“. Er hätte auch sagen können: „Der Ulf Kirsten ist unberechenbar.“

Zum Beispiel im Strafraum. Berechnet liest sich seine Unberechenbarkeit in etwa so: 181 Tore in 346 Bundesligaspielen für Leverkusen; 57 Tore in 154 DDR-Oberligaspielen für Dynamo Dresden; 41 Tore in 73 Europacupspielen; 35 Tore in 100 Länderspielen. Mehr geht nicht. Heute Abend ist Schluss. Ulf Kirsten, der Gerd Müller der Neunzigerjahre, wird sich zurückziehen aus den Strafräumen dieser Welt. Für den mehrmaligen Torschützenkönig der Bundesliga gibt es kein Zurück. „Ich brauche morgens zwar keinen Kran, um aufzustehen, da fühle ich mich auch nicht anders als mit 25. Aber die ganzen Reisen, das muss ich nicht mehr haben“, sagt der 36-jährige Sachse.

Heute Abend, beim Champions-League-Finale gegen Real Madrid in Glasgow, wird Ulf Kirsten auf der Ersatzbank Platz nehmen und kann schon mal vorfühlen, wie es sich als Standby-Profi lebt. „Ich werde die Vorbereitung auf die kommende Saison mitmachen. Ich will wenigstens vernünftig abtrainieren“, sagt Kirsten. Nebenbei soll er sich ins Management von Bayer einarbeiten, Talente sichten, Spiele und Spieler beobachten.

Kirsten stammt aus dem sächsischen Riesa. Als 14-Jähriger wechselte er nach Dresden. Bei einem Jugendturnier fiel er den Vermittlern von Feyenoord Rotterdam und den Glasgow Rangers auf. Doch Kirsten war damals 18 Jahre alt und lehnte eine Flucht ab. In den Folgejahren unterließ er es mit Rücksicht auf seine Familie. Mit Dynamo wurde er zweimal Meister und dreimal Pokalsieger. 1990 wurde er Fußballer des Jahres. Im selben Jahr kaufte ihn Bayer Leverkusen aus einem beim VfL Bochum kurz vorher unterschriebenen Vertrag für 3,8 Millionen Mark heraus. Spanische und italienische Klubs, die ihn immer mal wieder verpflichten wollten, beschied Calmund stets mit dem Wort: „unbezahlbar“. Seinen Einstand in der Nationalmannschaft gab Kirsten im Oktober 1992 beim Abschiedsspiel Rudi Völlers. Später sagte Völler über Kirsten: „Der Strafraum ist sein Wohnzimmer.“

Die vielleicht treffendste Umschreibung gelang dem früheren Leverkusener Trainer Christoph Daum: „Ulf ist ein Strafraumgespenst. Er macht Tore wie kein anderer. Er muss immer unter Dampf stehen, er will immer gewinnen. Selbst im Training kann er nicht verlieren. Wenn er nicht trifft, dann ist er sauer, bisweilen sogar ungenießbar.“

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