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Check vom großen Bruder. Die Slowakei unterlag Tschechien mit 2:3.

© AFP

Eishockey-WM: Träume in Plattenbauten

Gastgeber Slowakei ist bei der Eishockey-Weltmeisterschaft so gut wie ausgeschieden. Die Gastgeber feiern trotzdem ausgiebig.

Es gibt ausreichend Sitzplätze in der Großarena von Bratislava, dem modernen Prachtbau inmitten sozialistischer Plattenbaulandschaft im Stadtteil Nové Mesto. Aber Sitzen? Beim Eishockey? Nein, die slowakischen Fans stehen. Und ihren Wunsch brüllen sie, so laut es geht: „My chcene gól!“ – „Wir wollen ein Tor!“ Gar nicht so einfach ist das mit den Toren. Schließlich ist am Freitagabend Weltmeister Tschechien Gegner. Der große Nachbar, der ehemalige Stiefbruder. Die Slowaken schlagen sich wacker, aber die Tschechen spielen das bessere Eishockey.

Eishockey, das ist in Slowakei an deutschen Maßstäben gemessen Fußball. In Bratislava ist das nicht zu übersehen: Die Autos sind beflaggt und beklebt, in der Hauptstadt wird mit dem Sport beworben, was sich bewerben lässt. Das „Hockey Meal“ einer Fast-Food-Kette, das „Hockey Auto“ oder auch der „Hockey-Go-Go-Club“, Zutritt erst ab 21.

Hockey-Gaga. In die Halle von Bratislava passen nur 10 000 Menschen, also tummeln sich drum herum Zehntausende beim Public-Viewing vor Großleinwänden, eingepeitscht von Moderatoren, die „Slooooo-vensko“ in ihre Mikrophone brüllen. In der Slowakei haben sie vor der WM nicht weniger als den Titel erwartet, doch damit sieht es nun schlecht aus. Nach Niederlagen gegen Deutschland und die Russen muss das Spiel gegen Tschechien gewonnen werden, wenn die Slowakei im Turnier bleiben möchte. Die Tschechen sind in der Slowakei natürlich nicht beliebt. 1993 bekam die nur fünfeinhalb Millionen Einwohner große Slowakei ihre Unabhängigkeit. Seitdem es die Tschechoslowakei nicht mehr gibt, geht es den Tschechen zunehmend besser, in Bratislava dagegen mieft es trotz Euro immer noch nach jahrzehntelanger sozialistischer Misswirtschaft. Sport ist ein Anker, etwas zum Festhalten. Die Eishockeystars der Slowaken wie Marian Hossa oder Marian Gaborik sind die Helden des Volkes, sie verdienen ihre Dollarmillionen in Nordamerika. Nun sind sie in die Heimat gekommen, um den Traum der Fans zu erfüllen. Der Traum ist gigantisch, aber nicht abwegig. Schließlich wurde die Slowakei 2002 schon mal Weltmeister.

Die slowakischen Erwartungen sind zu groß, sagt Jaromir Jagr, der große alte Eishockeystar der Tschechen. Jagr findet, dass sich die Slowaken überschätzen. „Wie können die nur glauben, dass sie gegen Deutschland oder gegen uns eine Chance haben?“, hat er gesagt. Gegen Deutschland haben die Slowaken ein paar Tage zuvor 3:4 verloren. Ein Tscheche, der die Slowaken schlecht macht und die Deutschen lobt? Das geht in der Slowakei gar nicht. Bei jeder Puckberührung wird der Mann mit der Rückennummer 68 am Freitag ausgepfiffen. Es nützt nichts, Jagr und Kollegen gewinnen 3:2, aus eigener Kraft können die Gastgeber das Viertelfinale nicht mehr erreichen. Es wird leise, Bratislava verstummt. Die Arena leert sich, die Kneipen leeren sich, die Menschen flüchten in ihre Plattenbauten.

Doch dann gehen die Menschen plötzlich wieder auf die Straßen, schwenken ihre Fahnen. Sie feiern sich und die Slowakei. Ein kleiner Staat, der sich für ein paar Wochen im Fokus der kleinen Eishockeywelt sieht. Es ist die Freude am eigenen Selbstbewusstsein eines Landes, das in Europa selten eine große Rolle spielen kann.

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