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Eisschnelllauf: Der Grenzgänger

Bundestrainer Bart Schouten führt die deutschen Eisschnellläufer mit harten Maßnahmen zu neuer Stärke.

Berlin - Robert Lehmann hatte sich auf den äußersten Platz gesetzt, er fand das passend. Neben ihm saßen Martina Sablikova, Doppel-Weltmeisterin aus Tschechien, Enrico Fabris, Olympiasieger aus Italien, und andere Größen der Eisschnelllauf-Szene. Stars der Mehrkampf-WM in Berlin, vor den Journalisten aufgereiht. Und am Rand Robert Lehmann aus Erfurt, ein schlaksiger Mann, der leise sagt: „Ich will unter die Top Zwölf.“

Man muss nur den Blickwinkel ändern, dann ist das durchaus eine Erfolgsmeldung. Man muss nur kurz daran denken, dass Lehmann vor zwei Jahren bei Olympia nach 1500 Metern als Statist ins Ziel lief, als 36. Lehmann steht für die neue Stärke des deutschen Männer-Eisschnelllaufens. Wie Tobias Schneider auch. Lehmann und Schneider sind die deutschen Starter bei den Herren. „Tobias hat 2010 bei Olympia Medaillenchancen über 5000 und 10 000 Meter“, sagt Bart Schouten. „Und ich erwarte, dass Tobias in Berlin unter die ersten acht läuft.“ Im Januar landete der 26-jährige Berliner bei der Mehrkampf-EM auf Platz sieben. Vor zwei Jahren trudelte er bei Olympia über 1500 Meter noch auf Rang 31 ins Ziel.

Schouten steht am stärksten für den neuen Aufschwung, er ist seit zwei Jahren Herren-Bundestrainer. Ein stämmiger Holländer, der die US-Stars Derek Parra und Chad Hedrick zu Olympiasiegern formte. Schouten redet viel von Schmerzen, von Erfolgsdenken und von Druck. Er führt seine Athleten an Grenzen, die sie noch nie ausgelotet haben. „Mut ist das wichtigste Wort“, sagt er. Mut, die eigene Grenze zu erfahren.

Lehmann hatte keinen Mut, im Januar bei der EM. Er lief eine miserable Zeit über 10 000 Meter, und danach wurde Schouten „richtig böse“. Die gute Entwicklung schien gefährdet. Lehmann schrieb ihm in einer E-Mail: „Entschuldigung, ich hatte Angst, mir weh zu tun.“ Eine Woche später beim Weltcup in Hamar war Lehmann über 10 000 Meter 25 Sekunden schneller als bei der EM. So muss es funktionieren, sagt Schouten. Das bringt er ihnen bei, diesen Drang, sich optimal auszutesten. Er lässt seine Trainingsgruppe zum Beispiel gemeinsam 5000 Meter laufen. Die Zeit, die er von der Gruppe verlangt, liegt weit unter der Bestzeit jedes Einzelnen, weil man in einer Gruppe immer schneller ist. Trotzdem, eine große Herausforderung. „Aber sie schaffen es“, sagt Schouten.

Einer wie Schneider kommt dem Ideal des Trainers schon ziemlich nahe. Der 26-Jährige schränkte im Sommer sein hartes Krafttraining trotz Kniebeschwerden nicht ein. Eigentlich gefällt Schouten so etwas. „Man braucht Athleten, die mit großen Schmerzen trainieren können.“ Aber bei Schneider war die Grenze überschritten, das sagt auch Schouten. Schneider fiel wegen einer Knieverletzung fast vier Monate aus. Als er wieder fit war, wurde er von einem Auto angefahren. Noch zwei Wochen Pause.

Also forderte der 26-Jährige, dass er während der Saison voll durch trainieren darf. Das ist unüblich, aber Schouten imponierte Schneiders Ehrgeiz. Er lenkte ein und hatte damit Erfolg. Der Berliner lief glänzende Zeiten im Weltcup.

Inzwischen ist er eine Art Leitwolf. Wenn Schouten die Gruppe im Sommer in Eisschnelllauf-Haltung zwölf Minuten lang übers Gras watscheln lässt und der „Körper aufschreit“ (Schouten), achtet Schneider genau darauf, dass keiner nachlässt. Einmal, sagt Schouten, habe er einen anderen angeraunzt: „Ich habe mich ablenken lassen, weil du nicht mitgezogen hast.“ Die ganz harten Fällen sind dann aber Chefsache. „Manchmal“, sagt Schouten, „muss man zeigen, dass man böse ist.“ Bis jetzt musste er es nur einmal, bei Lehmann. Mit promptem Erfolg.

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