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Sport: EM-Finale: Fußball als Drama - live mit der ARD auf dem Alexanderplatz

Die Theaterkritiker des Berliner Stadtmagazins grillen. Am Abend eines Endspiels!

Die Theaterkritiker des Berliner Stadtmagazins grillen. Am Abend eines Endspiels! Die Kritiker haben nicht gemerkt, dass das Endspiel versehentlich auf ihren Grillabend gelegt wurde. Ist ein zweiter Ort denkbar, an dem man Menschen begegnet, die aufrecht und freien Blicks von sich sagen, kein einziges EM-Spiel gesehen und keinem einzigen Fußball-Kommentar Auge in Auge begegnet zu sein?

Nicht-Fußballer! Vergesst die Selbsthilfegruppen! Macht Schluss mit den Schuldgefühlen. Andererseits: Sind bekennende Anti-Fußballer nicht auch ein bisschen unsympathisch? Genau wie Menschen, die sagen "Ich brauche keinen Fernseher!"

Auf der ARD-Leinwand am Alexanderplatz noch immer kein Tor. Für die Psychologie auf großen Plätzen ist das nicht gut. Für private Fernsehstationen sicher auch nicht. Mit diesem Finale neigt sich eine Ära. Das Zeitalter der exklusiven öffentlich-rechtlichen Fußballübertragungen - vorbei. Die nächsten beiden Weltmeisterschaften hat Leo Kirch gekauft. Ob Kirch ganze Halbzeiten ohne Tor übertragen lassen kann? Die ersten 45 Minuten sahen jedenfalls richtig öffentlich-rechtlich aus.

Dann kommt das Tor doch. Nur die Johanniter sitzen noch immer regungslos neben den offenen Krankenwagen. Bestimmt wären sie auch gute Theaterkritiker. Bei dem ARD-Satz "Die Szene beweist, der Ball kommt gern zu ihm", malt sich die Andeutung eines kritischen Lächelns um vereinzelte Johanniter-Münder. Nein, es stimmt gar nicht, was ein Kritiker zuvor sagte: "Die Italiener machen hinten dicht und fertig ist die Hütte!"

Tooottiiii!, ruft eine vibrierende Frauenstimme über den Platz. 89. Minute. Vorn singen sie schon "Cantare oho". Die beiden französischen Fahnen im spärlichen Marseillaise-Fanblock geben ihr Jetzt-erst-recht-Schwenken gerade auf, als es passiert. Schade, dass Elias Canetti nicht hier ist. Es hätte ihn interessiert. Plötzlich sind sie alle für Frankreich! Auch die ARD sagt Seltsames: Die Italiener wären verdiente Meister geworden. "Wären". Vergangenheitsform vor Beginn der Nachspielzeit.

Dann bricht es los: "Scheiß Erstes!" und "Buh ARD!" Das Bild ist weg. Ein aufrechter ARD-Mann tritt vor die Leinwand: "Ja, das ist uns jetzt peinlich ..." Er hat keine Chance. Nicht auszudenken, die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Sport-Fernsehens, wenn das entscheidende Tor jetzt gefallen wäre. Die nächste EM in Portugal ist noch öffentlich-rechtlich. In der 101. Minute ruft die junge Totti-Anhängerin ein verzweifeltes "Ehh, Totti!", ehe der Platz aufschreit. Nur der Mann am Tresen macht eine Aussage von schwer übersetzbarer Drastik. Der Kommentator fasst es in die Worte: "Die Italiener tun mir leid!"

Langhoff, der DT-Intendant, hatte also Recht. Fußball besitzt Ähnlichkeit mit der Struktur des offenen Dramas. Warum hatten die Kritiker der Grill-Runde den Vorschlag "Langhoff statt Völler" abgelehnt?

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