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Blau ist die Hoffnung. Seine Mannschaft hatte niemand auf der Rechnung: Italiens Antonio Conte.

© dpa/Dal Zennaro

EM: Italiens Trainer Antonio Conte: Mourinho in sympathisch

Als Boss unter Alphatieren überrascht Trainer Antonio Conte mit den Italienern. Sein Erfolgsheimnis? Akribie. Und Schreiattacken.

Um das Phänomen Antonio Conte zu verstehen, muss man zurückgehen in das Jahr 2014. Oder man fragt Gigi Buffon. Denn die Geschichte, die der Journalist Alessandro Alciato in seinem Buch „Metodo Conte“ über ein Treffen zwischen der Torwart- und der Trainerlegende erzählt, dürfte Buffon noch heute schlecht schlafen lassen.

Im Mai 2014 neigte sich für Juventus Turin eine historische Saison dem Ende entgegen. Unter Contes Führung hatte der Verein längst seinen dritten Scudetto in Serie sicher – für die Juve-Spieler ging es vor dem letzten Spiel nur darum, im Hinblick auf die WM gesund zu bleiben. Doch nicht so Antonio Conte. Der Coach arbeitete akribisch an der Spielvorbereitung mit dem Ziel, durch einen Sieg die magische Grenze von 100 Punkten zu überschreiten. Sein Torwart, Gigi Buffon, sah das etwas entspannter – mit einem Weltmeistertitel im Briefkopf durchaus nachvollziehbar. Als Kapitän hatte er andere Dinge auf der Agenda. Geld zum Beispiel. Und so nutzte Buffon eine Videositzung, um den Trainer auf noch ausstehende Prämiengespräche anzusprechen - vor versammelter Mannschaft.

Hätte er mal lassen sollen. Denn die Reaktion von Conte war, nunja, unerwartet. „Ich will kein Wort mehr dazu hören“, schrie er Buffon ins Gesicht. „Unter allen Spielern hätte ich es von dir am wenigsten erwartet. Prämien! Du bist eine einzige Enttäuschung, ein Debakel von dem Moment, in dem du deinen Mund aufmachst – keinen Deut besser als die ganzen Schwachköpfe da draußen.“

Ersetzt man den Namen Antonio Conte mit einem x-beliebigen Trainer der Welt – Juventus wäre nach diesem Tag wohl im Chaos versunken: Revolten, Maulwurfaffären, dreckige Wäsche. Und was passierte in Turin? Juves Elf betrat Tage später, angeführt von Buffon, den Rasen, schnappte sich den Fabelrekord von 102 Punkten und Conte und die Spieler lagen sich jubelnd in den Armen. Augenscheinlich haben es Trainer Conte und Kapitän Buffon geschafft, ihre erfolgsbringende Koexistenz aus Turin auch in die Nationalmannschaft umzutopfen. Im Sparmodus qualifizierte sich Italien für die Endrunde, mit kompakter Defensive und Effizienz vor des Gegners Tor.

Viele trauen den Italienern wenig zu: Viele trauten dem Team wenig zu. Zu alt, zu schlecht, zu wenig Stars

Dennoch: Viele trauten dem Team wenig zu. Zu alt, zu schlecht, zu wenig Stars, so der Pressetenor. Und überhaupt, war nicht bereits 2014, beim Vorrundenaus in Brasilien, der Zenit dieser stolzen Generation um Buffon schon überschritten? Dabei hat es nur einen neuen Anführer gebraucht, um das alte Schwergewicht wieder auf Kurs zu bringen. Im August 2014 übernahm Conte die Italiener, seitdem hat die Elf kein Pflichtspiel verloren. Doch erst seit Montag scheint sich die Meinung zu Contes Arbeit aufgrund des ersten EM-Auftrittes radikal geändert zu haben. 2:0 gegen Belgien, den Geheimfavoriten. Überzeugend, überraschend, berauschend. Wie hat er das gemacht? Conte ist ein Phänomen. Ein akribischer Arbeiter, der nichts dem Zufall überlässt. Und eine Autoritätsperson, die von seinen Spielern bedingungslos akzeptiert wird. Auch wenn es, wie bei Buffon, manchmal verbale Backpfeifen hagelt.

„Es gibt niemanden, der einen besser auf den nächsten Gegner vorbereitet“, sagte Daniele de Rossi nach dem Belgien-Spiel. „Jeder von uns weiß ganz genau, was er auf dem Platz zu tun hat.“ Auch Matteo Darmian geriet nach dem Auftaktsieg ins Schwärmen. „ Jeder im Team ist bereit, sich für ihn zu zerreißen – im Spiel wie im Training.“ Akribie, Psychologie, Perfektion: Antonio Conte wirkt wie eine Kopie von José Mourinho – in sympathisch.

Unterschätzen wird die Italiener und ihren Trainer Conte keiner mehr bei diesem Turnier. Dieser gestand nach dem Belgien-Spiel, fast schon ergriffen: „Ich bin begeistert von der Leistung meiner Spieler.“ Dazu zählt auch Gigi Buffon. Die Enttäuschung, das Debakel.

Thilo Neumann

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