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EM-Kader: Keine Plätze mehr frei

Für die EM dürften die Spieler nominiert werden, die in Basel überzeugten.

Der Drang der modernen Mediengesellschaft, alle Winkel des öffentlichen Lebens auszuleuchten, hat zu Phänomenen geführt, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren. In einigen Ländern ist es längst üblich, Lippenleser zu engagieren, um die Gespräche zwischen Fußballern zu entschlüsseln. Am Mittwochabend im Basler Jakob-Park hätte es eines Experten für Körpersprache bedurft, um zu erfahren, was Jens Lehmann mit dem leichten Grinsen ausdrücken wollte, mit dem er das Stadion verließ. Verachtung für die Journalisten? Genugtuung über eine solide Leistung in einem nicht allzu schwierigen Spiel? Allein über die Mimik wäre der Gemütszustand des deutschen Nationaltorhüters zu deuten gewesen. Alle weiteren Auskünfte verweigerte Lehmann: Er hatte die deutschen Medien mit einem Boykott belegt.

In erster Linie fühlte sich Lehmann wieder einmal ungerecht behandelt, die tiefere Botschaft seines Schweigens aber lautete: Es ist in dieser Angelegenheit, in der Causa Lehmann, längst genug gesprochen worden. Andreas Köpke, der Torwarttrainer der Nationalmannschaft, äußerte nach dem Spiel gegen die Schweiz die Hoffnung, „dass jetzt wieder ein bisschen mehr Ruhe reinkommt“. Nach Lehmanns dürftigem Auftritt im Länderspiel gegen Österreich Anfang Februar war eine heftige mediale Diskussion entbrannt, ob ein Torwart ohne Spielpraxis Deutschlands Nummer eins sein dürfe. In Basel stellte sich heraus, dass diese Diskussion jeder realen Grundlage entbehrt hatte: Weder Köpke noch sein Vorgesetzter Joachim Löw haben ernsthaft darüber nachgedacht, Lehmann in Zweifel zu ziehen. „Wir können nicht nach jeder Ted-Umfrage aufstellen“, sagte Köpke. „Sonst haben wir in jedem Spiel einen anderen im Tor.“

Das wäre so ziemlich das Letzte, was sich Joachim Löw vorstellen möchte. Der Bundestrainer ist einer, der sehr eigen ist in solcherlei Angelegenheiten. Er handelt gerade in personellen Angelegenheiten aus tiefer Überzeugung und folgt einer großen, geraden und kompromisslosen Linie. Zwar sagte er auch nach dem Sieg in Basel, dass die Tür zum Kader für die Europameisterschaft immer noch allen Bewerbern offen steht. Doch dürfte es sich dabei eher um ein Täuschungsmanöver für die Öffentlichkeit gehandelt haben. Es gilt als sicher, dass Löw insgeheim eine klare Vorstellung vom Gesicht der Mannschaft hat.

Keine fünfzig Tage sind es, bis Löw am 16. Mai auf der Zugspitze sein 23-köpfiges EM-Aufgebot bekannt geben wird; doch so wie es aussieht, stehen die Auserwählten bereits fest. Es handelt sich um jene Spieler, die in Basel überzeugten. „Es war noch einmal die Chance für jeden Einzelnen, sich vor der Nominierung zu zeigen“, sagte Löw. Mehr mochte er sich nicht entlocken lassen. „Wir haben ja noch Zeit damit.“

Bis auf Bernd Schneider und Stefan Kießling waren alle der 20 nach Basel gereisten Spieler zum Einsatz gekommen. Schneider fehle es momentan an der körperlichen Fitness, sagte der Bundestrainer. Der Leverkusener sei für die deutsche Mannschaft aber ein wichtiger Spieler „und das wird er auch bleiben“, sagte Löw. Und Kießling darf sich damit trösten, dass es momentan jeder Stürmer Nummer fünf schwer hat.

Hinzuzurechnen sind diesem Kreis noch Christoph Metzelder und Torsten Frings, die nach ihren Verletzungen zwar noch um Anschluss ringen, allen Unwägbarkeiten zum Trotz aber bei Löw fest eingeplant sind. Demnach bliebe noch ein freier Platz im Kader. Im Augenblick deutet wenig darauf hin, dass es wieder einen Überraschungskandidaten gibt, so wie David Odonkor bei der WM 2006.

Überraschungen passen so gar nicht zu Joachim Löw. Er hat seit seinem Amtsantritt im Sommer 2006 nach der WM 38 Spieler eingesetzt, darunter 16 Debütanten; kurz vor seinem ersten Turnier als Bundestrainer aber reduzieren sich alle Personalfragen auf ein Duell um den wohl letzten freien Platz im Mittelfeld: der etablierte Tim Borowski gegen den aufstrebenden Jermaine Jones.

Jener Kreis, der in Basel im Einsatz war, komme „in der Qualität“ schon sehr dem nahe, was man sich für die Europameisterschaft „wünscht“. Das war in Basel aus den Worten Oliver Bierhoffs herauszuhören. Allerdings ließ der Manager der Nationalmannschaft in Bezug auf die tatsächliche Entscheidung der Kadernominierung Mitte Mai keinen Zweifel aufkommen. „Alle Maßnahmen und Entscheidungen werden einzig und allein darauf abzielen, die Leistung der Mannschaft zu optimieren“, sagte Bierhoff. Was wollte er auch anderes sagen, um die Spannung nicht ganz zu nehmen? Bis dahin wird ganz sicher auch Jens Lehmann seine Sprache wiedergefunden haben.

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