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Philipp Köster.

© Mike Wolff

EM-Kolumne Europareise (2): Händler mit gezückten Gyrosspießen

In unserer täglichen Kolumne kommentieren Moritz Rinke, Lucien Favre, Philipp Köster, Jens Mühling und Marcel Reif im Wechsel die EM. Diesmal berichtet Philipp Köster über seine schrecklichen Erfahrungen bei Europameisterschaften.

Als ich im Bekanntenkreis verkündete, dass ich den Juni weitgehend im polnischen Dreieck Posen-Danzig-Warschau verbringen werde, war die nahe liegende erste Rückfrage: „Und da freust du dich sicher schon?“ Die Antwort fiel mir schwerer als erwartet. Nicht, weil mir die gefürchtete Autobahn nach Warschau den Schweiß auf die Stirn trieb oder weil ich mich von den im Netz kursierenden Gruppenfotos stiernackiger Hooligans aus Krakau und Danzig hatte verunsichern lassen. Nein, es sind allein die zutiefst deprimierenden Erfahrungen, die ich bisher bei Europameisterschaften gemacht habe, die mich ein wenig skeptisch stimmen.

1996 wurde mir auf der Fähre Dover-Calais meine Geldbörse gemopst. Ich brachte sechs Stunden im malerischen französischen Fährhafen damit zu, diversen Bahnangestellten meine Notlage zu erklären. Deren Aufmerksamkeit war jedoch durch ein Dutzend Holländer absorbiert, die den braven Schaffnern immer wieder mit aufblasbaren Gummihämmern auf den Kopf schlugen.

Ein, um mit Rudi Völler zu reden, noch tieferer Tiefpunkt war dann das einzige Spiel, das ich während der EM 2000 in Lüttich sah. Das Auftaktspiel der Deutschen gegen Rumänien war ein grottiger Kick. Zudem saßen wir in einem Block, in dem sich ausschließlich völkisch gesinnte Deutsche versammelt hatten, die den Zweiten Weltkrieg für keine ganz schlechte Idee hielten, um es mal vorsichtig zu formulieren.

Mein traumatischstes Erlebnis hatte ich jedoch 2008 während der EM in Österreich und der Schweiz. In Erwartung überschäumender Euphorie war ich zunächst nach Klagenfurt am Wörthersee gereist. Dort hatten die örtlichen Gastronomen Mondpreise für Verkaufsstände auf der innerstädtischen Fanmeile gezahlt, in Erwartung ebensolcher Gewinne. Als sich aber mehrere Tage nur vereinzelte Besuchergruppen an den Ständen einfanden, brannten bei mehreren Wirten die Sicherungen durch. Ich sah, wie die Inhaber zweier Verzehrstände mit Gyrosspießen aufeinander losgingen, verletzt wurde immerhin keiner. Dann musste ich auch noch mein Hotel in Klagenfurt vorzeitig verlassen, weil die Chefin ohne Ankündigung mein Zimmer an „den bayrischen Alt-Ministerpräsidenten“ vermietet hatte. Ich fuhr deprimiert zurück nach Deutschland und dachte bei mir: „Nie wieder EM.“ Am Sonntag mache ich mich auf nach Danzig. Hoffentlich haben sie da keine Fanmeile.

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