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EM-Kolumne "Europareise": Druck bedrückt

In unserer täglichen Kolumne kommentieren Moritz Rinke, Lucien Favre, Philipp Köster, Jens Mühling und Marcel Reif im Wechsel die EM. Zum Turnierstart macht sich Moritz Rinke Gedanken über den allgegenwärtigen Druck.

Bei Eröffnungstagen von großen Turnieren denke ich immer an meine Kindergeburtstage. Diese Vorfreude beim Aufräumen des Kinderzimmers, die geschmückte Tafel; und die Pläne, die ich machte: Was wir spielen, wie wir spielen werden, und eigentlich wollte ich auch immer schon bestimmen, wer gewinnen soll. Ich natürlich. Meist aber lief dann alles ganz anders. Jeder machte, was er wollte und meine schönen Pläne wurden über den Haufen geworfen und das Kinderzimmer sah auch aus wie Sau. Irgendwann kam immer meine Tante mit einer Schüssel Eiskugeln. In den Kugeln steckten bunte Landesfahnen und bevor ich überhaupt bestimmen konnte, wer was bekommt, hatten sich alle mit Löffeln auf die Kugeln gestürzt und die besten Fahnen weggegriffen, mir blieb am Ende meist die Fahne von Ländern, die keiner kannte.

Als ich acht wurde, sagte ich zu meiner Mutter. „So geht´s nicht weiter! Heute wird mein Zimmer abgeschlossen, Spielen macht auch keinen Spaß mehr. Und wenn die Tante mit dem Eis kommt, reiß ich sofort die Deutschlandfahne raus!“

„Du machst dir zu viel Druck“, sagte sie und es war das erste Mal, dass ich – wahrscheinlich noch vor Oliver Kahn – vom Druck hörte. „DRUCK??“ fragte ich. „Du bist dann bedrückt“, antwortete sie. Danach habe ich mich dann in den Garten gestellt und vor allen Kindern verkündet: „Ich muss am Ende gar nicht gewinnen!“ Man staunte. „Druck bedrückt!“, erklärte ich.

Am liebsten würde ich das allen Deutschen, die jetzt den Titel verlangen, auf die Stirn schreiben: DRUCK BEDRÜCKT! In dem Eistopf meiner Tante stecken nämlich diesmal Spitzenfahnen wie Holland, Spanien, Frankreich, sogar mit Italien kann man wieder rechnen, schließlich holen die immer den Titel, wenn sie zu Hause einen Manipulationsskandal haben. Und nicht zu vergessen die Polen im eigenen Lande mit Lewandowski und Blaszczykowski. Und England kann jetzt sogar Elfmeterschießen! Warum sollten wir da am Ende unbedingt gewinnen? Und das in Anbetracht unserer Abwehr?

Der Einzige, der dies auch zu ahnen scheint, ist der Bundestrainer, der ist der Lockerste aller Deutschen, dem muss man nicht DRUCK BEDRÜCKT auf die Stirn schreiben. Im Gegenteil: Die Spieler dürfen nun sogar Bier trinken, rauchen und twittern. Und Boateng könnte sogar trotz des Treffens mit dem prallen Nacktmodell Gina-Lisa spielen. Schließlich bewegt sich unsere Abwehr momentan langsamer als Gina-Lisa.

Wir sollten das wissen, wenn wir ab am Samstag damit beginnen, den Titel zu verlangen.

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