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Anstoß üben: Weltmeister Thomas Müller (l.) und Mario Götze.

© dpa

EM-Qualifikation: Deutschland nach dem 0:2 in Polen: Besser spielen reicht nicht

Der immer noch frische Weltmeister hat seit dem Titelgewinn zwei Drittel seiner Länderspiele verloren - vor allem wegen der fehlenden Effizienz vor dem Tor. Was Bundestrainer Löw und sein Team jetzt brauchen, ist ein in allen Kategorien überzeugender Sieg.

Joachim Löw bewegte sich gut zwischen den Linien, er stieß entschlossen in den freien Raum und brachte sich in eine glänzende Ausgangsposition. Es hat schon Spiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegeben, nach denen Löw den Innenraum postwendend verlassen hat, weil er erkennbar wütend war; nach dem 0:2 (0:0) gegen Polen nahm er den umgekehrten Weg. Der Bundestrainer postierte sich nahe der Mittellinie, um seine Spieler noch auf dem Platz zu fassen zu bekommen: Jerome Boateng tätschelte er die Wange, Karim Bellarabi klopfte er auf den Rücken, und dem Schalker Julian Draxler hielt Löw seine Hand entgegen. Der Bundestrainer verteilte Trost und Anerkennung, und natürlich kämpfte er in diesen Momenten kurz nach dem Schlusspfiff auch um die Deutungshoheit über diese Niederlage.

Der immer noch frische Weltmeister hat seit dem Titelgewinn zwei Drittel seiner Länderspiele verloren. Das ist auf den ersten Blick eine verheerende Bilanz. Und wer weiß, wie sehr die Nationalmannschaft die Gemüter bewegt, der weiß auch, dass die Ausschläge in der öffentlichen Meinung immer etwas drastischer ausfallen als bei einer stinknormalen Vereinsmannschaft. Auch deshalb war Joachim Löw nach dem 0:2 in Warschau um exzessive Sachlichkeit bemüht. „Ich sehe es nicht allzu dramatisch“, sagte er nach der ersten Pflichtspielniederlage seit mehr als zwei Jahren. „Die Einstellung, die Konzentration zum Spiel waren absolut in Ordnung. Mit der Spielanlage, mit dem Engagement war ich zufrieden.“

Statistische Überlegenheit der deutschen Mannschaft

Dass der Bundestrainer mit dieser Analyse nicht ganz falsch lag, zeigten auch die statistischen Werte. Sie wiesen 62 Prozent Ballbesitz zugunsten der Deutschen aus, 6:0 Ecken, 22 Torschüsse gegen ganze vier der Polen. „Ich will nicht hier stehen und alles schönreden“, sagte Mittelfeldspieler Toni Kroos. „Aber wir haben schon Spiele gewonnen, in denen wir schlechter gespielt haben.“

Der Unterschied ist, dass die Deutschen da noch nicht Weltmeister waren. Durch den Triumph von Rio haben ihre Niederlagen eine andere Fallhöhe bekommen. Auch die Wahrnehmung hat sich noch einmal verändert. Ob das Leben als Weltmeister härter sei als zuvor, wurde Joachim Löw später gefragt. „Das Leben wird nicht härter – trotz aller Enttäuschung“, antwortete er. Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Das Leben ist schöner als vor der WM.“

 Die Gegner sind motivierter als vorher

Aber der profane Alltag bereitet eben auch einige Mühen, denen die Mannschaft als Weltmeister nur scheinbar enthoben ist. Der Bundestrainer hat bei den Gegnern seines Teams festgestellt, dass sie nun immer „ein paar Prozentpunkte mehr rauszuholen“ versuchen. Die Polen kompensierten ihre Unterlegenheit durch unbändigen Eifer, so wie es auch schon die Schotten im ersten EM-Qualifikationsspiel vor einem Monat getan hatten – und wie es am Dienstag in Gelsenkirchen auch von den Iren zu erwarten ist. „Ihre Taktik wird logischerweise ähnlich sein“, prognostizierte Löw. „Irland hat eine Mannschaft, die vorwiegend verteidigt und auf Konter wartet.“

Löws Team war in Warschau auf diese Taktik des Gegners hinreichend vorbereitet. „Es hat eigentlich richtig viel gut funktioniert“, sagte Mittelfeldspieler Christoph Kramer. Die Deutschen erlangten schnell die Kontrolle, sie ließen sich nicht locken, suchten geduldig die Lücken in der gut organisierten Abwehr der Polen, ohne ihre eigene Defensive allzu sehr zu entblößen. „Bei den Polen ist eigentlich nichts aufgegangen, sonst hätten sie nicht so viele Torchancen zugelassen“, sagte Kramer. Auch das Konzept, über Konter zum Erfolg zu kommen, funktionierte bei den Gastgebern nicht – in der ersten Halbzeit. Gleich mit ihrem ersten Angriff der zweiten Hälfte aber überrumpelten sie die deutsche Verteidigung.

 Abschlussschwäche als größtes Problem

Die Polen zeigten dabei genau die Effizienz, die dem Weltmeister aktuell völlig abgeht. „Das ist ein Witz“, sagte Innenverteidiger Mats Hummels mit Blick auf das deutliche Chancenplus der Nationalmannschaft. Ein schlechter Witz allerdings. Schon im September, beim 2:4 gegen Argentinien, fühlten die Deutschen die Verhältnisse durch das Resultat nicht wahrheitsgetreu abgebildet. Aber im Fußball hat der künstlerische Wert eben nur eine nachrangige Bedeutung; was zählt, sind Tore. „Wir waren im Abschluss nicht ganz überzeugend“, sagte Toni Kroos. Und das war noch recht schmeichelhaft formuliert.

Diese Schwäche begleitet das deutsche Team schon geraume Zeit. Immer mal wieder lassen die Nationalspieler vor dem Tor die nötige Entschlossenheit vermissen. Vielleicht fühlen sie sich im entscheidenden Moment doch eher als Künstler denn als kalte Vollstrecker. Ein klassischer Stürmer findet sich derzeit nicht in Löws Aufgebot; mehr Effizienz vor dem Tor ist also weniger eine Frage der Aufstellung als der Einstellung. „Die Konzentration im Torabschluss wird in den nächsten Tagen das Hauptthema bei uns sein“, kündigte der Bundestrainer an.

Das ist auch deshalb nötig, weil die Nationalmannschaft jetzt mal wieder einen in allen Kategorien überzeugenden Sieg braucht – vor allem für ihr eigenes Selbstverständnis. Dass sie in ihrer Qualifikationsgruppe für die Europameisterschaft in Frankreich derzeit nur auf Platz vier geführt wird, ist zwar ein ungewohnter Anblick; wirklich existenzbedrohend ist die Situation nach zwei Spieltagen natürlich noch nicht. „Ich sehe keine großen Probleme in dieser Qualifikation“, sagte Joachim Löw. „Ich bin mir sicher, dass wir das wieder ausgleichen.“

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