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Vor dem großen Sprung? Islands Nationalteam.

© p-a/dpa/von Lonhujsen

EM-Qualifikation: Island vor der Sensation

Die Fußballer aus Island haben beste Chancen, die Endrunde der EM zu erreichen.

Die Isländer können sehr gut über sich und ihr eigenes Land lachen. Das zeigen sie selbst in den Souvenirshops von Reykjavik. Dort gibt es etwa T-Shirts mit dem Spruch: „Wenn dir das Wetter nicht gefällt, warte fünf Minuten.“ Diese meteorologische Durchhalteparole liefert indirekt auch einen Erklärungsansatz für den Höhenflug der isländischen Fußball-Nationalmannschaft. „Wenn dir das Zwischenergebnis nicht gefällt, warte fünf Minuten“, schienen sich die Gastgeber Mitte Juni in der EM-Qualifikation gegen Tschechien zu denken. Exakt fünf Minuten nach dem 0:1 glichen sie aus. Und in der Schlussphase gelang Kolbeinn Sigthorsson – der sicher keinen Schimmer hat vom Wortspiel-Potenzial seines Nachnamens – noch das 2:1. Aufgeben ausgeschlossen.

Damit gehen die Isländer am heutigen Donnerstag sensationell als Tabellenführer der Gruppe A in das Auswärtsspiel gegen die Niederlande (20.45 Uhr/RTL Nitro). 15 Punkte in sechs Spielen haben sie gesammelt, Tschechien 13, die Niederlande nur zehn. Zwei Siege in den verbleibenden Heimspielen gegen Kasachstan und Lettland würden wohl schon reichen, um sich erstmals für ein großes Turnier zu qualifizieren. Mit nur rund 300 000 Einwohnern hat das noch nie ein Land geschafft. Der Berliner Fußballverband hat sechsmal so viele Aktive wie Island.

2013 war das Team, das von dem Duo Lars Lagerbäck und Heimir Hallgrimsson trainiert wird, noch in den Play-offs an Kroatien gescheitert. Doch das war wohl kein Ausreißer nach oben, wie die jüngsten Erfolge zeigen. „Das überrascht mich gar nicht“, sagt Eyjolfur Sverrisson. Der frühere Spieler von Hertha BSC trainiert seit 2009 die U 21 seines Landes. „Der Kern des heutigen Teams hat 2011 die U-21-EM gespielt, eine Premiere für unser Land. Da haben alle gemerkt, was für eine Generation wir haben.“ Ein 4:1 gegen Deutschland mit den späteren Weltmeistern Mats Hummels und Benedikt Höwedes in der Qualifikation gilt als Erweckungserlebnis.

Einst war Fußball für die Isländer wegen des Wetters ein Halbjahres-Sport

Doch die Kette aus Erfolgsmomenten, mentaler Stärke und weiteren Erfolgsmomenten muss irgendwo ihren Anfang genommen haben. Sverrisson sieht die verbesserte Infrastruktur als Hauptgrund. Früher war Fußball für die Isländer wegen des Wetters ein Halbjahres-Sport. Dann wurden im ganzen Land große Hallen errichtet, die an 365 Tagen im Jahr optimale Bedingungen garantieren. „Das ist die Grundvoraussetzung. Athletisch waren wir schon immer stark, aber mit den Hallen konnten wir viel mehr auf technische Sachen achten“, sagt Sverrisson. Die Generation um Sigthorsson und den früheren Hoffenheimer Gylfi Sigurdsson hat als erste davon profitiert. Zudem besitzen die wenigen Trainer alle eine A- oder B-Lizenz. „Die Mannschaft ist relativ jung. Sie wird weiter wachsen und neue Talente werden dazukommen“, sagt der 47-Jährige.

Wer auf Island geboren wird, hat es im Blut, ständig Lösungen auf widrige Umstände zu finden. „Wir jammern eigentlich nie und akzeptieren die Dinge, die man nicht ändern kann“, sagt Sverrisson. So nimmt es eine technisch, mental und physisch starke Mannschaft mit den Niederlanden auf, die erstmals unter dem neuen Trainer Danny Blind spielen. Etwa fünfmal so hoch wird der Marktwert der Niederländer sein. Die Isländer wird es genauso wenig verunsichern wie der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull.

Der Fußball ist ein neues Aushängeschild des Landes. Die Handballer gewannen 2004 Olympia-Silber, Islands Musikszene ist nicht nur dank Björk weltberühmt, Halldor Laxness wurde mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet und Reykjaviks Polizei führt einen äußerst unterhaltsamen Instagram-Account, weil sie sonst so wenig zu tun hat. „Das muss in den Genen liegen“, sagt Sverrisson. „Man glaubt ja fast schon an etwas Übernatürliches.“ Immerhin lässt sich der Erfolg im Fußball besser erklären. Von Argumenten, dass ein 0:0 gegen Island in Ordnung gehe, konnte Rudi Völler bei seiner legendären Wutrede vor zwölf Jahren nur träumen.

Jannik Sorgatz

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