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EM-TAGEBUCH  der Gruppe B: Stolz vs. Chaos

Dänen und Holländer nach dem Vorrunden-Aus.

DÄNEMARK

Die Lage im Land. Vor Turnierbeginn hatte kaum jemand auf ein Weiterkommen zu hoffen gewagt – trotzdem machte sich nach dem Vorrunden-Aus erst mal Enttäuschung breit im dänischen Lager. Unterm Strich überwiegt aber trotzdem der Stolz auf die starken Mannschaftsleistungen bei der EM. Der Stuttgarter William Kvist war einer der wenigen, der etwas zu mäkeln hatte, er haderte mit den Torchancen, die man dem deutschen Team zu leichtfertig gewährt habe.

Trainer Morten Olsen wird derweil von der dänischen Presse als Taktikfuchs gefeiert, der aus seinem Team das absolute Maximum herausgeholt habe. Einziger Kritikpunkt: die späte Einwechslung von Tobias Mikkelsen gegen Deutschland.

Team-intern. Mit Blick auf die bevorstehende WM-Qualifikation steht der Mannschaft eine kleine Frischzellenkur bevor. Der bisherige Stammkeeper Thomas Sørensen, der bei der EM verletzungsbedingt ausfiel, ist inzwischen 36 Jahre alt. Sein sechs Jahre jüngerer Vertreter Stephan Andersen hinterließ in der Ukraine einen überaus souveränen Eindruck und wird wohl seine Nachfolge antreten. Mit Anders Lindegaard, der bis zu seiner Verletzung immerhin erste Wahl bei Manchester United war, steht außerdem ein weiterer guter Mann in den Startlöchern.

Auch Olsen-Liebling Dennis Rommedahl wird nicht jünger, in diesem Jahr knackt er immerhin die 34. Er selbst würde seine Länderspielkarriere zwar gerne verlängern, Voraussetzung ist aber, dass sein Körper mitspielt. Momentan ist er verletzt.

Abseits. Der Ex-Schalker Christian Poulsen brachte es bei der Europameisterschaft gerade mal auf einen zwölfminütigen Kurzeinsatz gegen Deutschland. Überhaupt war es das erste Mal, dass Poulsen in einem Turnier nur Reservist war. Das Ego des 32-Jährigen traf die Entscheidung von Morten Olsen anscheinend hart. Ob er dem Nationalteam weiterhin zur Verfügung stehen werde, müsse er sich nun erst mal gut überlegen, sagte Poulsen gegenüber dänischen Medien.

Zitat. „Wir haben gegen drei der besten Teams in Europa – wenn nicht sogar auf der ganzen Welt – gespielt. Dafür haben wir uns super aus der Affäre gezogen.“ (Verteidiger Daniel Agger nach dem knappen Vorrunden-Aus in der „Todesgruppe“)

Lars Sejr, Jyllands-Posten

HOLLAND

Die Lage im Land. Von „oranje boven“ keine Spur, die Stimmung sinkt weit unter Normalnull. An die Form der Weltmeisterschaft in Südafrika vor zwei Jahren habe man nicht annähernd anknüpfen können und sei somit auch verdient ausgeschieden. Aus dem Kreis der „Elftal“ sickerte durch, dass man schon nach der Auftaktniederlage gegen Dänemark schlotternde Knie bekommen habe. Als Mitfavorit auf den Titel gestartet, als Gruppenletzter mit null (!) Punkten gelandet – da gab es nichts mehr zu beschönigen: „Chaos und Niedergang“ titelte etwa „De Volkskrant“.

Team-intern. Im Vergleich zur WM vor zwei Jahren scheint die „Elftal“ nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein. Einige Spieler ließen durchsickern, dass es ihren Kollegen an der nötigen Aufopferungsbereitschaft gefehlt habe. Konkreter wurde da schon Arjen Robben, dem ein holländischer Fernsehsender genau auf die Lippen geschaut hat. Als Bondscoach Bert van Marwijk den Bayern-Star zu mehr Defensivarbeit aufforderte, antwortete Robben angeblich mit einem deutlichen: „Halt die Klappe!“

Abseits. In Holland spricht man vom vermeintlich schlechtesten Turnier, das eine niederländische Mannschaft jemals gespielt hat. Ein Mannschaftsempfang mit großer Kanalparade dürfte den Heimkehrern wohl verwehrt bleiben. Nicht nur, dass das Team auf dem Fußballplatz enttäuschte, es scheint auch neben dem Spielfeld nicht harmoniert zu haben. Wesley Sneijder berichtete beispielsweise, dass einige Spieler einen zu engen Kontakt zu Journalisten gepflegt und Informationen aus geheimen Trainingseinheiten preisgegeben hätten.

Zitat. „Er wird bleiben. Dass wir ausgeschieden sind, ist nicht seine Schuld. Wir hatten eine Menge Erfolg zusammen, nun sind wir gemeinsam gescheitert.“ (Wesely Sneijder über die Position von Trainer Bert van Marwijk)

Willem Vissers, De Volkskrant

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