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Männer fürs Grobe: Die italienische Abwehr um Bonucci (vorne).

© dpa

EM-Viertelfinale: Wie Deutschland gegen Italien bestehen kann

Italien spielt mit einer aus der Mode gekommenen Dreierkette. Das aber dummerweise mit viel Erfolg. Doch es gibt ein Gegenrezept.

Schweißtreibende Erinnerungen dürften es sein, welche die deutschen Nationalspieler an das letzte Freundschaftsspiel gegen Chile haben. Kurz vor der Weltmeisterschaft gab es einen 1:0-Sieg, Torschütze Mario Götze, soweit das Positive.

Nicht ganz so positiv war der Spielverlauf. Ziemlich schwindelig wurden die Deutschen phasenweise gespielt und am Ende war das Ergebnis, nun ja, schmeichelhaft. Überall schienen diese kleinen, flinken Chilenen auf dem Platz zu sein. Ständig attackierten sie, ständig waren sie an ihren Gegenspielern, und der deutschen Mannschaft war anzusehen, wie unangenehm sich diese 90 Minuten anfühlten. Chile probte damals schon seit einiger Zeit, was sie drei Monate später bei der WM in Perfektion vorführen sollten: Das Spiel mit nur drei statt vier Verteidigern, einer Dreierkette also, die bei gegnerischem Ballbesitz zur Fünferkette wird, weil sich die beiden äußeren Mittelfeldspieler zur Unterstützung zurückfallen lassen.

Genauso wie die Chilenen spielt Italien. Nicht erst seit dieser Europameisterschaft, sondern seit vielen Jahren. Die Dreierkette galt lange Zeit als beinahe verschwunden im internationalen Spitzenfußball. Ein Relikt der späten Neunziger Jahre, das nur im italienischen Klubfußball ein Auskommen fand und auch von der Nationalmannschaft gern als Stilmittel herangezogen wurde. Nicht ständig, aber doch regelmäßig.

Deutschland gegen Italien wird nicht nur ein Duell der Fußball-Großmächte mit langer Tradition, sondern auch das zweier sehr unterschiedlicher Systeme. Dreierkette gegen Viererkette, zwei zentrale Angreifer (Italien) gegen einen (Deutschland).

Italien zeigte sich bei diesem Turnier taktisch sehr flexibel, seit der beeindruckenden Vorstellung im Achtelfinale gegen Spanien erscheint Trainer Antonio Conte als Meister des Überraschungsmoments. Sein 3-5-2-System mit den zwei Stürmern wird bei der EM so nur von Italien gespielt und gilt als Formation der Stunde, obwohl es eigentlich aus der Vergangenheit stammt. Gegen die Systeme der Gegenwart zeigte es sich bisher besonders wirkungsvoll.

Spanien wurde mit aggressiven Pressing zermürbt

Zum Auftakt gegen Belgien hinderten Eder und Graziano Pellè die gegnerischen Verteidiger am Spielaufbau, indem sie sie sofort attackierten, sobald diese den Ball hatten. Belgien konnte den Ball oft nur nach vorn schlagen, wo es für die eigenen Spieler schwer war, ihn zu kontrollieren. Spanien wurde mit aggressiven Pressing zermürbt, statt sich wie erwartet zurückzuziehen, ließ Conte seine Männer schon in der gegnerischen Hälfte angreifen. Pellè spielte wie ein Manndecker gegen Spaniens defensiven Mittelfeldspieler Sergio Busquets, Eder lief die Passwege zwischen den Innen- und den Außenverteidigern zu. Die Folge war, dass Spanien kaum Anspielstationen hatte und derjenige, der den Ball bekommen sollte, sofort unter Druck geriet.

Das könnte der deutschen Mannschaft auch bevorstehen, sollte sich Conte für die gleiche Herangehensweise wie gegen Spanien entscheiden. Pellè als Manndecker für Toni Kroos? Das wäre eine Art Umkehr der deutschen Taktik von vor vier Jahren, als Trainer Joachim Löw Kroos als Sonderbewacher für Andrea Pirlo entsandte. Sein Plan ging nicht auf. Worauf wird es nun ankommen, wenn Deutschland zum ersten Mal bei einem großen Turnier gegen Italien gewinnen will?

Auf die Außen. Wichtig wird sein, immer wieder das Spiel über die Seiten zu suchen. Dort liegen Italiens Schwächen, weil Alessandro Florenzi und Mattia de Sciglio, obwohl beide erst Mitte Zwanzig, nicht die Schnellsten sind. Sprintduelle also, immer wieder Sprintduelle. Deutschlands Offensivkräfte wie Julian Draxler und Thomas Müller sind da im Vorteil. Gelingt es, hinter die äußeren Mittelfeldspieler mit Diagonalbällen oder flachen, scharfen Pässen zu kommen, müssen die drei Verteidiger Andrea Barzagli, Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini das Zentrum verlassen und sich in Laufduelle begeben, was nicht zu ihren Stärken zählt. Je schneller es Deutschland gelingt, das Spiel immer wieder von eine Seite auf die andere zu verlagern, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich irgendwann eine Lücke auftut. Eine Aufgabe wie geschaffen für Toni Kroos.

Nur nicht statisch werden. Dann gibt es Probleme. Etwa wenn Löws Mannschaft versucht, durch die Mitte zum Erfolg zu kommen. Dort warten drei defensiv orientierte Mittelfeldspieler, die versuchen, keinen Gegner zu den eigenen Verteidigern durchdringen zu lassen. Das funktionierte bisher sehr gut. Spanien probierte es immer wieder durchs Zentrum und blieb fast immer in der vielbeinigen Abwehr der Italiener hängen. Der Titelverteidiger, den Joachim Löw gern als Vorbild nennt und an dessen Spielweise er sich lange orientierte, hatte nichts gelernt aus der Vergangenheit. Bei der WM in Brasilien war Spanien mit seinem Kurzpassfußball nach Niederlagen gegen die Niederlande und Chile ausgeschieden. Beide Gegner hatten mit einer Dreierkette gespielt.

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