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Sport: Endlich erwachsen

Annette Dytrt, neue Meisterin im Eiskunstlaufen, soll sich nicht mehr selbst ablenken

Annette Dytrt knickte in den Knieen ein und schlug die Hände vors Gesicht, sie konnte jetzt nichts anders. Der Beifall brandete durch die Eislaufhalle in Oberstdorf, ein Beifall, so begeistert, wie sie ihn wohl seit Jahren nicht mehr gehört hatte. Es war die angemessene Kulisse für eine Frau, die übers Eis glitt und weinte. Der ganze Druck löste sich in diesem Moment in diesen Tränen. Annette Dytrt war gerade Deutsche Eiskunstlauf-Meisterin geworden. Es war ihr fünfter nationaler Titel, aber der ist nicht bloß Teil einer Statistik. Annette Dytrt lief in Oberstdorf die Kür ihres Lebens. Ein paar Minuten später wischte sie sich die zerlaufene Schminke aus den Augen und verkündete: „Ich bin überglücklich. Der Druck war sehr groß.“ Sie hatte klar geführt nach dem Kurzprogramm, aber was bedeutet das schon bei Dytrt? Bei der vergangenen Meisterschaft hatte sie auch klar geführt und war dann bloß Dritte geworden. „Da habe ich alles zu sehr auf die leichte Schulter genommen.“

Hinter diesem Satz steht die ganze aktuelle Geschichte der Annette Dytrt vom EC Oberstdorf. Diese Geschichte hat viel mit Michael Huth und Petra Weber zu tun, den Menschen, die links und rechts von ihr standen. Huth ist der neue Trainer von Annette Dytrt, Petra Weber ihr neuer Mentalcoach. Sie begleiten Annette Dytrt dabei, erwachsen zu werden. Erwachsener als bisher.

Dytrt ist jetzt 25, eine hochtalentierte Frau, die aber jahrelang nicht genügend Bodenhaftung besaß. Sie lebte mit dem Gedanken, dass sie mal eine zweite Katarina Witt wird. Sie lebte mit der Vorstellung, dass sie vieles locker nehmen könne. Deshalb hatte sie mit 16 Jahren die Schule ohne Abschluss abgebrochen. „Irgendjemand hatte ihr den Floh ins Ohr gesetzt, dass sie mal Weltmeisterin wird. Da braucht man dann ja keine Schule, da lebt man vom Ruhm“, sagt Huth. Weltmeisterin? Dytrt landete bei der EM 2004 auf Platz elf und bei der EM 2006 auf Platz zehn. Sie gerierte sich jahrelang als hoffnungsvolle Eis-Prinzessin, der Rest der Szene sah eine Frau, die unter großem Stress regelmäßig aufs Eis purzelte.

Deshalb benötigte Huth eine Woche Bedenkzeit, als Dytrt im Frühsommer zu ihm nach Oberstdorf wechseln wollte. Er trainiert unter anderem Carolina Kostner, die Europameisterin aus Italien, er benötigte nicht unbedingt einen sportlichen Pflegefall. Andererseits reizte ihn die Aufgabe. Denn „Annette hat grundsätzlich das Potenzial, um unter die Top Five in Europa zu laufen“.

Aber er bestand darauf, dass sie einen Schulabschluss macht. Und er machte ihr klar, dass sie sich von ihren Träumen verabschieden muss. Die 25-Jährige stimmte zu. Jetzt arbeitet sie daran, die Mittlere Reife zu erwerben. „Ich habe jetzt wieder Spaß am Laufen“, sagt Annette Dytrt. „Ich fühle mich wohl in Oberstdorf.“ Aber das ist erstmal bloß ein Standardspruch, so redete sie nach jedem Trainerwechsel. Die Wandlung der Annette Dytrt ist ein zäher Prozess, deshalb hat Huth sie auch nur übernommen, weil er mindestens bis zu den Olympischen Spielen mit ihr plant. „Sie läuft jetzt eleganter als früher“, sagt er aber auch. Die frühere Dytrt, sagt Huth, die sei doch so gelaufen: „Drahtig, ruppig, hektisch.“

An der Psyche arbeitet Petra Weber, einmal pro Woche sitzt sie mit Dytrt zusammen, und zumindest auf Oberstdorf hat sie die 25-Jährige gut vorbereitet. Wagner wird vermutlich auch bei der EM 2009 dabei sein, wenn dort ihre Klientin läuft. „Annette kann dort unter die ersten Fünf kommen“, sagt Huth. Aber er sagt es so vorsichtig, dass es nicht wie eine klare Prognose klingt.

Er weiß doch nicht, ob sie diese Leistung von Oberstdorf wiederholt, bei größerem Stress als bei einer nationalen Meisterschaft. Und da ist ja noch ein anderes Problem. „Annette lässt sich noch zu leicht ablenken“, sagt Huth. „Wenn sie jemanden auf der Tribüne erkennt, überlegt sie, was der denkt.“

Im Herbst war Shanetta Folle mal bei einem Lehrgang in Oberstdorf. Folle hatte früher Dytrt in München trainiert, die Zusammenarbeitet endete in bitterer Feindschaft. Nun stand Folle häufig an der Bande, als Dytrt lief. Und da erkannte Huth eindrucksvoll, welche Arbeit ihm noch bevorsteht. „Als Folle da stand“, sagt er frustriert, „war Annette völlig durcheinander. Sie war im Training einfach nicht da.“

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