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Sport: Endspiel für Genussmenschen

Von Michael Rosentritt Berlin. Reiner Calmund ist ein Bauchmensch.

Von Michael Rosentritt

Berlin. Reiner Calmund ist ein Bauchmensch. Körperlich wie sinnlich. Schon das unterscheidet den breiten Manager Bayer Leverkusens von Rudi Assauer, sein Gegenstück bei Schalke 04. Der ist zwar auch Genussmensch, hat aber nicht die Statur des Leverkuseners. Heute werden sich ihre Mannschaften auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions gegenüberstehen und den 59. DFB-Pokalsieger ermitteln. 70 000 Besucher werden mitansehen, wie sich der schönste Verlierer aller Zeiten mit dem Meister der Herzen duelliert. Und während die Zuschauer den einen, Assauer, unten am Spielfeldrand rauchen sehen werden, bleibt es nur den Besuchern der VIP-Tribüne vergönnt, sich darüber ein Bild zu machen, wie es mit dem werten Befinden Calmunds bestellt sein wird.

Da war vor genau einer Woche der ergreifende Auftritt Calmunds in der Bayarena, eine halbe Stunde nachdem erneut die Meisterschaft verspielt worden war. Calmund hatte zum Mikrofon gegriffen und richtete Tränen an die eigene Anhängerschaft. „Ich, der Dicke, bin bei euch“, wollte er zeigen in der wohl traurigsten Minute der abgelaufenen Saison. Ähnliches steht auch heute zu befürchten. Wenn Leverkusen einen Titel mehr verliert, ist es fast schon Routine. Tränen werden aber auch im umgekehrten Fall kullern. Er könne die ganze Aufregung um seine Tränen nicht verstehen, sagt Calmund. Erklären könne er sie – zumindest diesen Gefühlszustand. Und bedient sich Rudi Assauers. „Nehmen wir doch mal den Rudi“, sagt Calmund und redet ohne Satzzeichen. „Von dem kennt man nur das Pokergesicht, vom Qualm umwoben, ein hübscher Kerl, einer, der vom Playboy interviewt wird, ein Frauenheld halt.“ Calmund zählt diese Dinge auf, die auf einen wie ihn noch nie zutrafen. „Und doch weiß ich“, sagt Calmund, „wie es in ihm drin aussieht.“ Jeder hätte doch noch die Bilder von vor einem Jahr vor Augen, die einen Assauer zeigten, der „wie wild an der Seitenlinie auf und ab lief, der sich für vier Minuten als Meister wähnte, ehe die böse Nachricht auch ihn erreichte“.

Während Calmund 24 Stunden vor dem Finale seine aktuelle Befindlichkeit beziffert (Blutdruck: 120 zu 80, Puls: 60), legt Assauer seine Stirn in Falten und sagt: „Wir beide haben doch nichts zu verlieren. Wir sind für den Uefa-Cup qualifiziert, und ihr steht im Champions-League-Finale. Diesen Titel gönne ich euch, aber den Pokal morgen, den nehmen wir mit.“ Paff – das war’s. Assauer widmete sich fortan anderen Dingen. Calmund dagegen fühlte schon einmal voraus. „Wir haben noch zwei Asse im Ärmel. Einen der Pötte müssen wir unbedingt holen.“ Kommenden Mittwoch spielt Leverkusen in Glasgow gegen Real Madrid. Da darf man nicht zwangsläufig einen Sieg voraussetzen. „Wer vom Gau spricht, wenn wir keinen Titel holen, der hat keine Ahnung“, sagt Calmund. Er will, er muss optimistisch klingen.

„Es bringt nichts, nur gut zu spielen. Du musst was in der Hand halten“, sagt Carsten Ramelow. Ihm glaubt man das. Der Leverkusener wurde mit Bayer viermal Vizemeister; das letzte Mal, als Leverkusen einen Titel gewann, stand Ramelow ausgerechnet im gegnerischen Team. 1993 war das. Leverkusen bezwang im Pokalfinale Herthas Amateure mit 1:0. Das Tor schoss damals Ulf Kirsten, der die anschließende Siegesnacht mit dem Pokal im Bett verbrachte. Sollte Leverkusen noch einmal dieses Kunststück gelingen, werde Kirsten den Pokal dem verletzten Jens Nowotny ans Herz legen.

Möglich aber, dass der Abwehrchef dabei Konkurrenz von Calmund bekommt. Der Mann personifiziert zu lange schon das wiederkehrende Scheitern und würde den Pokal wohl auch nicht mehr loslassen. Assauer dagegen will eine Ära erfolgreich abschließen. In der sechsjährigen Amtszeit von Trainer Huub Stevens, der jetzt zu Hertha BSC wechselt, holte Schalke 1997 den Uefa-Cup und 2001 den DFB-Pokal. Assauer ist auf den Geschmack gekommen. „Richtig Spaß macht Berlin nur bei einem Sieg“, sagt der Manager.

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