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Nico Rosberg: Zur Not auch zu Fuß zum WM-Titel.

© dpa

Entscheidung in der Formel 1: Nico Rosberg: Halb Pilot, halb Professor

Nico Rosberg kann am Sonntag in Abu Dhabi der dritte deutsche Formel-1-Champion werden – dank Kalkül und Selbstoptimierung.

Von Christian Hönicke

Beinahe wäre aus Nico Rosberg ein echter Professor geworden. Im Jahr 2002 hatte er einen Studienplatz an der Londoner Elite-Universität „Imperial College“ sicher. „Alle meine Freunde sind auf eine Universität gegangen, auch ich wollte dahin“, hat er unlängst erzählt. Der 17-Jährige aus Monaco mit dem Faible für Mathematik und Physik hatte sich bereits für Luftfahrttechnik eingeschrieben. Doch als ihm das Formel-1-Team BMW-Williams eine Testfahrt anbot, entschied er sich gegen die Luft- und für die Autofahrt. 14 Jahre später ist Nico Rosberg dabei, als Pilot Geschichte zu schreiben. Am Wochenende kann er beim letzten Saisonrennen in Abu Dhabi erstmals Formel-1-Weltmeister werden.

Die kurze Uni-Episode ist von gewisser Bedeutung, wenn man die Ausgangslage im WM-Kampf verstehen möchte. Das Rennfahrerklischee vom tollkühnen Hasardeur trifft auf den fünfsprachigen Musterabiturienten Nico Rosberg nicht zu. „Nico hat eine fast wissenschaftliche, datengesteuerte Herangehensweise“, sagt sein Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Im Duell Rosberg gegen Lewis Hamilton erfährt der Kampf Ratio gegen Instinkt ein Comeback, der die Formel 1 schon Ende der Achtzigerjahre in Atem hielt. Damals bekriegten sich bei McLaren der kühle Franzose Alain Prost, genannt „Professor“, und der Brasilianer Ayrton Senna, dem viele bis heute magische Lenkkräfte unterstellen.

In der Neuauflage kommt Rosberg der Part des kühlen Analytikers zu, Hamilton die des talentierten Kämpfers, der es aus einfachsten Verhältnissen nach oben geschafft hat. Nach zwei verlorenen WM-Duellen in den vergangenen beiden Jahren hat Rosberg in Abu Dhabi hervorragende Chancen, seinen Mercedes-Stallrivalen zu schlagen. Er hat zwölf Punkte Vorsprung, schon ein zweiter oder dritter Platz würde ihm am Sonntag genügen, um es seinem Vater Keke 34 Jahre später gleichzutun und Weltmeister zu werden.

Keke Rosberg sei ein schlampiges Naturtalent gewesen, sagt Niki Lauda, der Aufsichtsratschef des Mercedes-Teams. Bei Nico verhalte es sich genau andersherum. Die besondere Gabe, die sein Vater früher im Rennauto besaß und Hamilton heute, die wird sich Rosberg nicht mehr erarbeiten können. Aber er kann diese Gabe mit kühlem Kopf bezwingen. „Mein Vater hatte das Image, auf der Strecke eher ein Rambo zu sein“, hat Rosberg mal gesagt. „Ich fahre sauberer, präziser.“

Rosbergs WM-Titel wäre der Triumph der präzisen Selbstoptimierung. Mit wissenschaftlicher Akribie versucht der gebürtige Wiesbadener nicht nur sein Auto optimal einzustellen, sondern auch sich selbst. Dabei endet sein Ansatz nicht bei Fitnesstraining und stundenlangen Fahrten im Simulator. Seine Detailversessenheit geht so weit, dass er sich die dicken Nähte an seinem Rennhandschuh entfernen ließ, um den sensiblen Kupplungshebel beim Start mit dem Finger noch besser bedienen zu können.

Weil sich Rennfahren „zu 90 Prozent im Mentalen abspielt“, wie es der viermalige Weltmeister Alain Prost einmal gesagt hat, schreckt Rosberg auch nicht davor zurück, an ein paar Schrauben in seinem Kopf zu drehen. Nach der erneuten Niederlage gegen Hamilton im vergangenen Jahr stürzte er sich in Psychologie-Fachliteratur. „Ich mag es, über solche Dinge zu lesen, darüber, wie wir sind und wie wir denken“, sagt er.

Die Erfolge dieser Selbsttherapie sind offensichtlich. Lange galt Nico Rosberg als zu sensibel und zu wenig abgezockt. Er sei harmoniesüchtig und wolle Streit vermeiden, „das habe ich von meiner Mutter“, hat er einmal zugegeben. „Türenknallen liegt mir nicht.“ Inzwischen hat Rosberg gelernt, dass man manchmal die Tür mit einem Rumms zuwerfen muss, um im knallharten Renngeschäft zu triumphieren. Wo er früher im Zweikampf mit Hamilton zurückgezogen hätte, hielt er in dieser Saison dagegen – und ließ es in Barcelona und Österreich ganz gegen sein Naturell sogar auf Rempeleien ankommen.

Er las viel über Psychologie, veränderte sein Auftreten

Der Nico Rosberg nach dem neuesten Update ist auch abseits der Strecke robuster geworden. Er lässt sich nicht mehr so leicht in die Karten schauen, seine Rennstrategie heißt jetzt betonte Gleichgültigkeit. Fragen nach dem WM-Titel wehrt er routiniert ab, „so ist es halt“, das ist seine neue Lieblingsfloskel. Klappe zu und fahren – manchmal umweht den einst so redseligen Rosberg jetzt ein Hauch des schweigsamen Racers Kimi Räikkönen.

Hinter dieser kalkulierten Persönlichkeitskehrtwende steckt wohl auch Rosbergs Erkenntnis, dass man nicht Weltmeister wird, wenn man jedem gefallen will. Einer seiner offensichtlichsten Angriffspunkte war in der Vergangenheit die Eitelkeit. Als er noch lange blonde Schönlingshaare trug, klebten ihm die Mechaniker bei Williams ein Foto von Britney Spears in den Pass, da hatte er seinen Spitznamen weg.

Die Haare trägt Rosberg schon länger kurz, und immer seltener rechtfertigt er sich dafür, dass er so ist, wie er ist. Vor einem Jahr warf ihm Bernie Ecclestone vor, ein geschäftsschädigender, weil langweiliger potenzieller Weltmeister zu sein. Damals war Rosberg regelrecht schockiert und antwortete: „Moment mal, das ist jetzt aber ganz schön hart!“ Als der Formel-1-Geschäftsführer diesen Vorwurf vor ein paar Tagen erneuerte, zuckte der Angegriffene nur mit den Schultern: „Das ist mir wurscht. Ich bin hier, um Rennen zu gewinnen.“

Den Wandel in Rosbergs öffentlichem Auftreten hat Damon Hill schon länger registriert. „Vielleicht haben wir Nico unterschätzt“, sagt der Weltmeister von 1996. Hill ist der Sohn des zweimaligen Champions Graham Hill, er kennt das Gefühl, trotz aller Erfolge nie den verdienten Respekt der Szene zu erhalten. Die Zweifel an seiner Eignung begleiten auch Nico Rosberg seit dem Beginn seiner Pilotenkarriere. Man stempelte ihn als Weltmeistersöhnchen ab, der mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde und im Reich der Begüterten und Schönen aufwuchs.

Rosberg hat längst das Gegenteil bewiesen. Sein Name mag ihm manche Tür geöffnet haben, aber an die Spitze hat er es ganz allein geschafft. „Nico ist unverwüstlich“, sagt Ross Brawn. Der Brite hat Michael Schumacher zu allen Weltmeistertiteln geführt und als Teamchef bei Mercedes auch die ersten Jahre mit Rosberg und Hamilton erlebt. Hamilton sei talentierter, sagt Brawn, aber Rosberg habe eine andere Stärke: „Er steht nach jeder Niederlage wieder auf und kommt zurück.“

„Kampfgeist und Disziplin“ nennt Rosberg selbst als zwei seiner herausragenden Eigenschaften. Diese Kombination kennt seine Frau Vivian nur zu gut. Schon in der Frühphase der Pubertät verliebte er sich in sie, aber erst acht Jahre später kam er schließlich mit seiner Auserwählten zusammen. Noch ausdauernder und hartnäckiger bearbeitet Rosberg nur Lewis Hamilton. Die beiden kennen sich seit ihren Duellen im Kart zu Teenagerzeiten. Schon damals war Hamilton meist einen Tick schneller, doch Rosberg hielt das nicht davon ab, sich auch in der Formel 1 mit dem Briten zu messen.

Seit vier Jahren fahren sie für Mercedes mit- und gegeneinander. Die WM-Duelle der vergangenen beiden Jahre hat Hamilton für sich entschieden. „Viele Fahrer, die von Lewis ein paar Jahre lang geschlagen wurden, hätten es sich leicht gemacht und wären einfach gegangen“, sagt Ross Brawn. So hat es Fernando Alonso gemacht, der in der Szene ein Jahrzehnt lang als bester Fahrer galt. Doch 2007 konnte selbst er Hamilton bei McLaren nicht schlagen und verließ das Team nach nur einer Saison wieder. Damals war Hamilton noch ein Neuling, inzwischen ist er dreimaliger Weltmeister.

Ob Hamilton in Abu Dhabi seinen vierten Titel einfährt, hängt ganz allein von Nico Rosberg ab. Dem Briten nutzt ein Rennsieg allein nichts. Wenn bei Nico Rosberg Auto und Nerven halten, kann er den Fluch des ewigen Zweiten loswerden. Dafür muss er nur Zweiter werden.

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