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Sport: „Er hat den Verlust aktiv verarbeitet“

Ronny Ziesmers Arzt Andreas Niedeggen über das Leben des Turners mit der Querschnittslähmung

Herr Dr. Niedeggen, was machen Sie an diesem Samstag um 17 Uhr?

Ich werde in der MaxSchmeling-Halle sein bei der Gala für Ronny Ziesmer. Gespannt bin ich vor allem darauf, wie die prominenten Sportler auf ihn reagieren. Er kann einem nicht geradeaus die Hand geben, weil er seine Finger nicht mehr richtig bewegen kann. Da kommen bei nicht-behinderten Menschen Ängste auf.

Haben Sie Ziesmer denn anders behandelt, weil er Leistungssportler ist?

Wir haben ihn vielleicht ein bisschen anders behandelt, weil er ein hervorragendes Körpergefühl hat, um die noch aktiven Muskeln ansteuern zu können. Das ist eine große Herausforderung für die Ergotherapeuten und Krankengymnasten. Insgesamt sieht er die Therapieeinheiten nicht als Therapie, sondern als Training. Deshalb kann er sich auch gut quälen.

Ziesmer sagt: Fünf Minuten nach dem Aufprall habe er sich mit seinem Schicksal abgefunden. Glauben Sie ihm das?

Abgefunden ist sicher nicht das richtige Wort. Er hat nach einer Trauerphase versucht, das Beste daraus zu machen. Aber am Anfang hat er die Konsequenzen gar nicht überblicken können. Uns gegenüber hat er seine Behinderung jedoch überraschend früh angenommen, früher als andere, vielleicht nach vier Wochen.

Er selbst hat neulich gesagt, dass er immer noch nicht in ein seelisches Loch gefallen sei. Wie erklären Sie sich das?

Er hat den Verlust aktiv verarbeitet. Vielleicht war der ganze Medienrummel fast wie eine Psychotherapie. Richtig gegrübelt hat er nur zwischendurch mal, zum Beispiel wenn er gefragt wird, was er denn jetzt machen will. Er hat sich noch nicht auf ein Studium festgelegt. Es ist auch sein tiefer Wunsch, später mitzuhelfen in seiner Stiftung, die sich um andere Turner kümmert, die in Not geraten. Wie genau, das weiß er noch nicht.

Was ist denn durch den Bruch der Halswirbelsäule mit dem Rückenmark passiert?

Das ist wie bei einem gekochten Spargel, den Sie mit einem stumpfen Messer plattdrücken. Da sind die ganzen Fasern noch vorhanden, aber nicht mehr funktionsfähig. Bei ihm sind einige Nervenfasern übrig geblieben, die für die Handstreckung zuständig sind und für die Unterarmstreckung. Darunter ist keine Funktion mehr, die Finger können nicht aktiv bewegt werden, er spürt sie aber noch.

Kann er die Finger irgendwann wieder einzeln bewegen?

Nein, diese Funktion wird nicht mehr zurückkommen. Schreiben kann er mit einer speziellen Manschette. Er kann auch einen PC bedienen.

Ziesmer wird oft gefragt, ob er hofft, eines Tages wieder laufen zu können.

Ronny sagt dann, die Hoffnung habe er noch. Diese Hoffnung haben auch noch Patienten, die schon zehn Jahre lang im Rollstuhl sind. Aber sie wissen, dass diese Hoffnung trügt. Es ändert sich nichts mehr. Wer unmittelbar nach dem Unfall komplett querschnittgelähmt ist, wird nie mehr laufen können.

Was ist bei Ziesmer maximal möglich?

Er muss noch ein paar Techniken lernen, damit er sich besser umsetzen kann vom Rollstuhl ins Bett oder ins Auto. Wir werden ihn jetzt zur Fahrschule anmelden. Einige Trockenübungen hat er schon gemacht und gemerkt, dass es ganz schön schwer ist, das Lenkrad zu kurbeln.

Wie kann er denn Auto fahren?

Er bekommt einen Haltegriff ans Lenkrad, der ist wie ein Knauf für LKW-Fahrer. Gas und Bremse werden mit der rechten Hand über einen Hebel betätigt.

Ziesmer wünscht sich, einen eigenen Haushalt führen zu können. Ist das realistisch?

Ja. Er wird zwar nie Großreinemachen oder Gardinen aufhängen können. Aber die alltäglichen Dinge wie Wäsche waschen, Einkaufen gehen, wird er können.

Man sagt, dass die schwere Zeit für die Patienten erst dann kommt, wenn sie entlassen werden und unter lauter Gesunden leben. Haben Sie um Ziesmer weniger Sorge, wenn er im März nach Hause darf?

Aufgrund seiner Einstellung hat er gute Chancen, dass er nicht in dieses berühmte Loch reinpurzelt. Aber das Wasser draußen ist kalt.

Das Gespräch führte Friedhard Teuffel

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