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Sebastian Brendel (vorne) und Jan Vandrey bejubeln ihren Olympiasieg.

© dpa

Erfolgreiche Kanuten in Rio: Tränen lügen nicht

Die Deutschen Kanuten erzeugen tolle Geschichten: vier Medaillen, ein Heiratsantrag – und Brendel darf die deutsche Fahne tragen.

Von Christian Hönicke

„Etwas Schöneres habe ich noch nie erlebt“, sagte Reiner Kießler. Seine Oberlippe zitterte, nur die Sonnenbrille verdeckte seine Tränen. Bei seinen letzten Olympischen Spielen erlebte der scheidende Bundestrainer einen Samstag, der als inoffizieller deutscher Kanufeiertag in die Geschichte eingehen wird. Zweimal Gold, einmal Silber und einmal Bronze holten seine Kanuten auf der Lagoa Rodrigo de Freitas innerhalb weniger Minuten. Insgesamt gewannen die Athleten des Deutschen Kanu-Verbands (DKV) in Rio sieben Medaillen, so viele wie zuletzt 2004 und eine mehr als 2012. Damit ist der DKV wie schon in London der erfolgreichste deutsche Einzelverband. DKV-Präsident Thomas Konietzko strahlte folgerichtig, selbst wenn die Verbandskasse unter dem goldenen Samstag etwas leiden wird. Er hatte seinen Kanuten versprochen, im Falle von vier Goldmedaillen ein Hotelschiff für die nächste WM in Tschechien zu organisieren. „Wir haben nicht damit gerechnet, aber jetzt müssen wir zu unserem Wort stehen“, sagte Konietzko.

Schon die Bronzemedaille von Ronald Rauhe zum Auftakt des Finaltags war eher unverhofft zustande gekommen. Der Olympiasieger von 2004 wollte bei seinen letzten Spielen unbedingt noch einmal eine Medaille gewinnen. Im Kajak-Zweier über 200 Meter mit Tom Liebscher war er um eine Zehntelsekunde daran vorbeigepaddelt, danach hatte er vor Enttäuschung geweint.

Ronald Rauhe erfüllt sich seinen Traum

Im letzten olympischen Rennen seiner Karriere erwartete den 34-Jährigen noch mehr Drama. Nach den 200 Metern im Einer wurde er als Vierter an der Videowand geführt, obwohl er auf die Tausendstelsekunde zeitgleich mit dem Spanier Saul Craviotto ins Ziel gekommen war. „Ich war schon am Boden zerstört, weil ich mich auf Rang vier gesehen habe“, sagte Rauhe später. Kurz darauf aber wurde das Ergebnis korrigiert, Rauhe wurde gemeinsam mit Craviotto auf Rang drei gesetzt. „Das war eine Emotionsachterbahn“, sagte Rauhe. „Eine Medaille zum Abschluss war mein Traum. Ich bin superglücklich, dass es noch geklappt hat.“

Auf dem Steg im Zielbereich umarmte Rauhe kurz darauf Max Hoff. „Wir hatten beide Tränen in den Augen“, sagte Hoff. „Wir sind gute Freunde, wir haben es uns von Herzen gegenseitig gegönnt.“ Als Hoff, mit 33 auch schon ein älteres Kanusemester, endlich seine erste Goldmedaille um den Hals hängen hatte, sprang er am Ufer des Sees umher wie ein kleines Kind. In London war er als Favorit im Einer an seinen Nerven gescheitert, auch in Rio hatte es auf der Strecke nicht geklappt – Blätter hatten sich in seinem Paddel verfangen und ihn um jede Chance gebracht. Doch im favorisierten Vierer mit Liebscher, Max Rendschmit und Marcus Groß konnte auch Hoff nicht mehr am Olympiasieg vorbeipaddeln.

Ronald Rauhe freute sich über Bronze.
Ronald Rauhe freute sich über Bronze.

© REUTERS

„Wir sind auch für Max gefahren“, sagte Groß. Der Berliner hatte mit Rendschmidt schon im Kajak-Zweier Gold geholt. „Aber wir haben uns danach nicht gehen lassen, wir haben Max versprochen, dass wir alles für ihn geben werden.“ Dabei hatte Groß nur eingeschränkte Sicht. In der Nacht davor hatten Diebe sein Zimmer heimgesucht und seine Kontaktlinsen geklaut. „Ich hatte heute nur 80 Prozent Sehstärke“, sagte Groß, „dafür hatte ich beim Paddeln ordentlich Wut im Bauch.“ Seine erste Goldmedaille war immerhin nicht gestohlen worden, „die habe ich mitgenommen, da bin ich echt glücklich. Auch die zweite wird immer ganz nah an meinem Körper bleiben.“

Extra-Ansporn für Sabrina Hering

Sabrina Hering hatte zwar gemeinsam mit Franziska Weber, Tina Dietze und Steffi Kriegerstein nur Silber geholt, die Ungarinnen waren auch im Kajak-Vierer zu stark. Aber auch sie wollte ihre Medaille nicht mehr ablegen. „Die ist jetzt mein Accessoire, meine Kette, die ich immer zu meinem Silberring trage“, sagte sie. Sie meinte ihren Verlobungsring, den sie schon kurz nach dem Vierer-Rennen der Frauen am Finger trug. 2012 hatte sie eigentlich mit dem Kanusport aufhören wollen. Ihr Freund Paul motivierte sie auf eine besondere Weise zum Weitermachen. „Er ist eigentlich kein Hochzeitsfan, aber er hat gesagt, wenn ich 2016 nochmal antrete und eine Medaille hole, dann kriege ich den Antrag“, sagte Hering. „Das war mein Extra-Ansporn.“

Sabrina Hering war überglücklich mit Silber.
Sabrina Hering war überglücklich mit Silber.

© AFP

Sebastian Brendel erhielt am Samstag gleich zwei Extra-Belohnungen. Der Star des Teams gewann im Canadier-Zweier mit Jan Vandrey nach dem Sieg im Canadier-Einer sein zweites Olympiagold in Rio und sein drittes insgesamt. Dabei waren die beiden gebürtigen Schwedter, die nun für den Kanu Club Potsdam paddeln, vorher nur bei einem Weltcuprennen gemeinsam gestartet und hatten noch nie gewonnen. Die Paarung Brendel/Vandrey war zudem erst kurz vor den Spielen ins Starterfeld gerutscht - nach dem Ausschluss des weißrussischen Teams wegen Dopings. „Wir sind eingestiegen, und es hat sofort funktioniert“, sagte Brendel, „zweites Rennen, erster Sieg. Vielleicht fahren wir jetzt öfter zusammen.“ Jan Vandrey wird nichts dagegen haben. Vor vier Jahren hatte er Brendels Triumph in London noch am Fernseher mitverfolgt, nun ist er selbst Olympiasieger. „Sebastian war mein Vorbild, er ist es auch heute noch“, sagte der 24-Jährige.

Die Vorbildfunktion Brendels blieb auch dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) nicht verborgen. Er erkor den 28-Jährigen dazu aus, die deutsche Mannschaft bei der Olympia-Abschlussfeier als Fahnenträger ins Stadion zu führen. „Das ist unbeschreiblich, davon träumt jeder Sportler“, sagte Brendel, fügte aber gewohnt bescheiden an, er werde die Fahne auch stellvertretend für die ganze Kanumannschaft tragen.

Als Reiner Kießler die Nachricht von Brendels Nominierung erhielt, war er noch gerührter als ohnehin schon. „Das ist so schön", sagte der Bundestrainer. „Kanuten sind keine Stars, aber vielleicht Vorbilder für andere, sie sind fleißig, stehen früh auf und gehen zeitig ins Bett. Und irgendwann trägt ein Kanute auch mal die Fahne bei der Eröffnungsfeier.“ Vielleicht schon 2020 in Tokio. Sebastian Brendel hat schon angekündigt, dass er bis dahin weiterpaddeln will.

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