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ERÖFFNUNGSFEIER: Peking läuft nach Hause

Sieben Jahre hat sich China auf diesen Moment vorbereitet. 14 Monate hat man geprobt.

Sieben Jahre hat sich China auf diesen Moment vorbereitet. 14 Monate hat man geprobt. Als die Olympischen Spiele mit einer spektakulären Eröffnungszeremonie starten, ist jedes Detail perfekt geplant. Nur eines haben die Organisatoren offenbar vergessen. Als die Zuschauer nach Mitternacht das Stadion verlassen, sind die dunklen Straßen wie leergefegt. Kein einziges Taxi – in Peking das wichtigste Verkehrsmittel – ist zu sehen. Wie Tausenden anderen bleibt mir nichts übrig, als mich zu Fuß auf den Weg zu machen.

Bis zur Gonti-Straße, dem nächtlichen Treffunkt der Pekinger Nobel- und Ausgehszene, kann ich mit einem Bus des Medienzentrums fahren. Als wir durch die nachtschwarzen Straßen fahren, sieht man überall die Zuschauer aus dem Stadion laufen – erkennbar an den gelborangen Taschen, die jeder zur Eröffnung geschenkt bekommen hatte. Ab dem Poly-Plaza, einem Luxushotel, das von der Familie des ehemaligen Reformpolitikers Deng Xiaoping kontrolliert wird, bin ich auf mich alleine gestellt. Obwohl es schon 1.30 Uhr ist, ist die schwüle Hitze noch immer unerträglich. In Peking leben 17 Millionen Menschen, und normalerweise steht die Stadt nie still. Ein ständig vibrierender Moloch aus Autos, brummenden Klimaanlagen und lauten Kneipen.

2.05 Uhr: Taxis sind immer noch nicht in Sicht. Neben der Straße marschiert jetzt ein Pulk von nächtlichen Wanderern. Wir sind eine bunte Mischung: Geschäftsleute und Diplomaten in Anzügen sind dabei, junges Partyvolk mit Chinaflaggen auf die Stirn gemalt, Damen in schwarzen Abendkleidern. Plötzlich bremst ein Fahrrad-Rickschafahrer vor mir. Am Lenkrand ein alter Mann ohne Zähne. Die Rettung, denke ich erleichert. Wieviel will er für die Fahrt haben, frage ich. „100 Yuan“, pfeift er durch die Zahnlücken – etwa 10 Euro. Das ist das Zehnfache, was ich in einem Taxi mit Klimaanlage bezahlen würde. Ich lasse ihn stehen und marschiere weiter – um das Gesicht zu wahren, muss man in China manchmal leiden.

2.35 Uhr: Eine Frau spricht mich an. Vielleicht fährt sie ein „schwarzes Taxi“, wie es sie in den ärmeren Vierteln oft gibt. Doch als ich die dicke Schminke auf ihrem Gesicht sehe, weiß ich, dass sie etwas anderes verkauft. Auch die Prostituierten wollen von Olympiafreuden profitieren.

Meine Klamotten sind durchgeschwitzt. Dann sehe ich es vor mir: ein nagelneues Taxi, ohne Passagier. Der Fahrer erklärt mir den Taxinotstand. Die meisten Pekinger seien an diesem Abend zu Hause geblieben, wegen der starken Sicherheitskontrollen und weil Gerüchte über mögliche Anschläge kursierten. Um 3.05 Uhr ist der Marsch vorbei.

Ein Erlebnisbericht von Harald Maass

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