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Sport: Erst müde, dann Meister

Bayern München sichert sich durch ein 0:0 beim VfL Wolfsburg vorzeitig den Titel

Bastian Schweinsteiger wusste, dass ihm diese, seine letzte Aktion auf jeden Fall gelingen würde. Etliche Male hatte er seine Zweikämpfe verloren, ebenso oft hatte er den Ball ins Leere gepasst und sich immer wieder zielstrebig für die schlechteste aller Lösungen entschieden. Diesmal aber würde nichts mehr schief gehen. Schweinsteiger lächelte bereits, so sicher war er sich. Dann setzte er zum Sprint an – und übergoss Karl-Heinz Rummenigge mit einer Ladung Weißbier. In der Stunde der Meisterschaft bricht für eine kurze Zeit die Anarchie aus. So war es auch gestern, als sich der FC Bayern München den letzten noch nötigen Punkt mit einem 0:0 in Wolfsburg sicherte. Mutig waren die Münchner an diesem Nachmittag selten, selbst Schweinsteiger nicht. Nur weil Uli Hoeneß, der Manager des FC Bayern, Schweinsteiger zum Angriff auf den Vorstandsvorsitzenden Rummenigge ermuntert hatte, „habe ich mich das getraut“.

Im Nachhinein bekam der müde Auftritt der Münchner in Wolfsburg sogar noch einen Sinn: Die Spieler hatten sich offensichtlich für die Feierlichkeiten nach dem Schlusspfiff geschont. Gleich nach Spielende spurtete Christian Lell los, um sich das Recht der ersten Bierdusche zu sichern. So energisch hatte man die Bayern in den 90 Minuten zuvor selten erlebt. Doch wenn es tatsächlich gewollt war, alle Kräfte für die Party danach aufzusparen, dann war zumindest das eine außergewöhnliche Leistung. Denn 63 Sekunden vor dem Schlusspfiff hatte sich Wolfsburgs Stürmer Grafite durch vier Bayern hindurch noch einmal vor das Münchner Tor gewuchtet, plötzlich stand er frei vor Torhüter Michael Rensing – und setzte den Ball mit dem Außenrist neben den Pfosten. „Leider hat es bei uns an der Chancenverwertung gemangelt“, sagte VfL-Trainer Felix Magath.

Die Bayern mogelten sich geradezu vorzeitig zu ihrem 21. Meistertitel. „Man hat gesehen, dass die Mannschaft an ihre Grenzen gestoßen ist“, sagte Ottmar Hitzfeld, für den seine Zeit als Vereinstrainer mit der siebten deutschen Meisterschaft endet. „Die Luft ist draußen.“ Drei Tage nach dem Ausscheiden aus dem Uefa-Pokal in St. Petersburg verzichtete Hitzfeld mehr oder weniger freiwillig auf gleich sechs Stammspieler: Miroslav Klose fehlte verletzt, Oliver Kahn, Zé Roberto, Franck Ribéry und Lucio standen nicht im Kader, Philipp Lahm saß auf der Ersatzbank. Von den elf Bayern-Spielern auf dem Platz erreichten nur Martin Demichelis und Mark van Bommel annähernd ihr gewohntes Niveau. Der Rest? Dilettantisch in der Verteidigung, läppisch in den Zweikämpfen, uninspiriert im Spielaufbau: „Es war keine Glanzleistung, eher eine Willensleistung“, sagte Hitzfeld.

Als Luca Toni, Bayerns gefährlichster Torschütze, erstmals an den Ball kam, waren bereits zwölf Minuten gespielt. Die folgende Aktion endete mit – einem Stürmerfoul. Nach dem Spiel interessierte das niemanden mehr. „In dieser Woche haben wir sehr gelitten“, sagte Toni, „jetzt ist der Moment zu feiern.“ Er trug nicht nur das Meister-T-Shirt, Ausgabe 07/08, sondern am linken Arm auch die Binde mit dem C, die eigentlich Oliver Kahn gehört. Übers Fernsehen richtete der Italiener einen Gruß an den Torhüter: „Ciao Oli, ich bin Capitano.“ Und nach einem Jahr in Deutschland äußerte sich Toni erstmals im Fernsehen auf Deutsch: „Isch bin sähr glucklisch.“

Die Bayern haben ihr Ziel erreicht, doch der vorzeitige Titelgewinn täuscht über manche Schwäche im Verlauf des Jahres hinweg. Die Dominanz der Münchner war auch der Schwäche der Konkurrenz geschuldet. Selbst Hitzfeld sagte: „Wir konnten nicht erwarten, dass wir mit so großem Abstand Meister werden.“ Vom ersten Spieltag an waren die Bayern Tabellenführer, und auch nach dem letzten werden sie es noch sein. In 45 Jahren Bundesliga ist das zuvor nur zwei Mannschaften gelungen: den Bayern 1972/73 und den Bayern 1984/85.

Uli Hoeneß war beide Male daran beteiligt, 1973 als Spieler, 1985, wie in dieser Saison, als Manager. Er bewertete aber die Meisterschaft 2008 als „einen ganz besonderen Titel – weil wir fast gezwungen waren, Deutscher Meister zu werden“. Den Zwang haben sich die Münchner mit der rekordverdächtigen Investition von 70 Millionen Euro selbst auferlegt. Das Risiko hat sich ausgezahlt. Uli Hoeneß sagte: „Zehn Punkte sind groß genug für das Fernglas.“

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