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Sport: Erst Titel, dann Abschied

Nach dem World-Bowl-Sieg muss Berlin Thunder ein neues Team formen

Als der blau-weiß-rote Konfettiregen auf die Spielfläche in der Arena „Auf Schalke“ rieselte, lagen sich die Spieler von Berlin Thunder in einem riesigen Menschenknäuel in den Armen und feierten ausgelassen ihren World-Bowl-Sieg. Es war das letzte Mal, dass sie sich so in den Armen liegen konnten. Denn anders als beim Super Bowl in der nordamerikanischen NFL ist an jeden Titel in der europäischen Footballliga auch ein wenig Wehmut geknüpft.

Im Moment des größten Triumphs haben die Spieler schon den Abschied ihrer eingeschworen Gemeinschaft im Kopf. „Meine Jungs werden mir fehlen“, sagte Berlins Cheftrainer Rick Lantz, „wir haben sehr enge Bande aufgebaut.“ Nach vier Monaten gemeinsamen Leidens und Jubelns fällt das Team auseinander. Die Spieler gehen zurück zu ihrem amerikanischen Team, das sie in die NFL Europe geschickt hatte. Gestern waren die Spieler noch bei einem Empfang im Roten Rathaus bei Berlins Sportsenator Klaus Böger. Heute sitzen sie schon wieder im Flugzeug in die USA. Viele haben Berlin mit Wehmut verlassen, aber alle auch mit Stolz.

Sie haben Berlin Thunder nicht nur den World Bowl geschenkt, sie haben dem Footballteam auch das Überleben gerettet. Niemand wird in nächster Zeit das erfolgreichste Team der Liga ernsthaft in Frage stellen. Denn mit dem dritten Titel in nur vier Jahren und 19 000 Zuschauern im letzten Heimspiel hat Berlin Thunder seine Ligatauglichkeit bewiesen. Sollte Gelsenkirchen nach der Rückkehr von Rhein Fire in der kommenden Saison nach Düsseldorf ein eigenes Team beanspruchen, werden wohl die Scottish Claymores aus Glasgow statt Thunder geopfert. Für die Liga würden so enorme Reisekosten entfallen, denn alle sechs Spielorte – fünf davon in Deutschland – wären mit dem Zug zu erreichen. Allerdings würde mit dem Rückzug aus Großbritannien auch die Diskussion über den Sitz der Ligaleitung neu aufbrechen. London müsste dann wohl für Frankfurt weichen – die Stadt, die von den Flügen her die besten Verbindungen zum NFL-Hauptquartier in New York hat. Berlin könnte dafür in der nächsten Saison Ausrichter des 13. World Bowl werden. Sowohl der Titel als auch das neue Olympiastadion sprechen für Berlin.

Außer einigen deutschen Spielern wie Jörg Heckenbach oder dem dänischen Kicker Heinz Quast wird sich aber kaum ein Finalspieler mehr an diesen Samstag erinnern. Headcoach Rick Lantz muss dann wieder von vorne anfangen. Mit neuen Spielern aus den USA, die in nur wenigen Wochen wieder zu einer Mannschaft geformt werden sollen. Bis dahin wird sich Lantz in den USA aufhalten und allenfalls bei Kurzbesuchen Berlin etwas genauer anschauen. Denn während der Saison hat er nicht nur seine Spieler vermisst: „Meine Frau ist in der Zeit zur besten Botschafterin Berlins geworden. Sie hat mir viele Bilder gezeigt, die ich bisher gar nicht gesehen habe.“

Ingo Wolff[Gelsenkirchen]

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