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Im Jubel vereint: Nach der desaströsen Abstiegssaison hat Hertha die Unterstützung seiner Fans in dieser Spielzeit mehr als zurück gewonnen.

© dapd

Erstklassige Hertha: Sitzenbleiber, Spitzenreiter

Hertha BSC unterhält in der Zweiten Liga ein Erstligateam. Das merken die Gegner, die auf einem sehr viel bescheideneren sportlich und finanziellen Niveau arbeiten, und die Fans, die so zahlreich wie selten zuvor ins Olympiastadion kommen.

Manchmal funktioniert das mit dem Toreschießen wie eine mittelschwere Hausarbeit im Fach Geometrie. Zunächst ist der Ball auf schnellstmöglichem Wege in die zentrale Position vor dem gegnerischen Strafraum zu platzieren und von dort aus in direkter Linie Richtung Tor zu verlängern. Gern per Freistoß, in der ästhetisch anspruchsvolleren Variante auch direkt aus dem Spiel. Die Vollendung erfolgt je nach Wunsch und Gegebenheit durch Kopf, Schulter oder Fußspitze. So einfach und so logisch hat das in den vergangenen Wochen bei Hertha BSC funktioniert. Und so schnell: Am Dienstag, beim 4:0-Sieg über den Karlsruher SC, dauerte es ganze 16 Sekunden bis zum ersten Tor, erzielt vom grandiosen Adrian Ramos.

Das war schon eine bemerkenswerte Steigerung gegenüber den letzten Spielen, als das Publikum beim Berliner Derby gegen den 1. FC Union in der Alten Försterei 90 Sekunden und zuvor gegen Bielefeld sogar fünf Minuten lang warten musste, bis der Ball ein erstes Ball über die Torlinie flog. "Trainieren kannst du solche schnellen Tore nicht", sagt Herthas Trainer Markus Babbel. Vom Prinzip Zufall aber mag er auch nicht sprechen, „wir arbeiten schon auf solche Situationen hin, wir wollen sie erzwingen“, und wenn diese Botschaft erst einmal gespeichert ist im vegetativen Nervenzentrum, dann lässt sie sich auch nicht mehr so leicht löschen. Jedenfalls nicht von so unbedarften Gegnern, wie sie zuletzt die Karlsruher welche waren.

So deutlich wie noch nie in der jetzt fünf Spieltage währenden Saison war am Dienstag zu sehen, dass Hertha BSC eine Erstligamannschaft unterhält, die eine Klasse tiefer eine Ehrenrunde dreht und damit die Rechnung begleicht für Versäumnisse, von denen heute niemand mehr etwas wissen will. Hertha tritt auf in der Pose eines überqualifizierten Sitzenbleibers, der ein Jahr lang dafür büßen muss, dass er regelmäßig in Physik und Mathematik geschwänzt hat. Nie im Leben wäre Hertha in der vergangenen Saison aus Liga eins angestiegen mit einer schon zum Saisonstart so ausbalancierten Mannschaft, wie sie jetzt in der Zweitklassigkeit zur Verfügung steht. Mit einer vom ersten Tag der Vorbereitung an eingespielten Viererkette, einem nach hinten wie vorn gleichermaßen zuverlässig arbeitenden Mittelfeld. Und, vor allem, mit Angreifern, die sich auf das Kerngeschäft des Toreschießens verstehen.

Hertha BSC ist geschmeidiger geworden und schwieriger auszurechnen, erst recht von einer Gegnerschaft, die auf einem sehr viel bescheideneren Niveau wirtschaftet, sportlich wie finanziell. Spieler wie der Kolumbianer Ramos oder der Brasilianer Raffael haben in der Zweiten Liga nichts verloren, und man wird sie wohl auch nur für dieses eine Jahr motivieren und finanzieren können. Von Ramos ist bekannt, dass er gern in der Bundesliga geblieben und nach Hoffenheim gegangen wäre (wenn auch nicht so gern, wie sein von Provisionszahlungen profitierender Berater glauben machen wollte). Im Umkehrschluss aber bietet diese Zweite Bundesliga mit ihren gedanklich und physisch langsameren Verteidigern allen Höherqualifizierten eine Bühne, auf der sie ihre Kunst so exponiert wie nirgends sonst präsentieren können. „Die Spieler holen sich in jedem Spiel die Bestätigung dafür ab, dass sie bei uns geblieben sind“, sagt Herthas Manager Michael Preetz.

Adrian Ramos etwa wird in jüngster Vergangenheit selten so viel Spaß erlebt haben wie am Dienstag gegen die überforderten Karlsruher. Eine Abrundung erfährt dieser Spaß durch die bemerkenswerte Rezeption seitens des Publikums. Mehr als 130.000 Zuschauer wollten Hertha BSC in den ersten drei Heimspielen im Olympiastadion sehen. Und so stimmungsvoll wie bei diesen Vorstellungen gegen Rot-Weiß Oberhausen, Arminia Bielefeld und den Karlsruher SC ging es in der dichtestmöglich besiedelten Ostkurve sonst nur in Herthas Fast-Meisterfrühling 2009 zu. Oder bei den jährlichen Gastspielen des FC Bayern München.

Am Freitag steht Hertha vor einem neuen Höhepunkt dieses ungewohnten Gefühls. Beim Gastspiel in Cottbus dürfte der Abordnung aus Charlottenburg noch mehr Ablehnung entgegenschlagen als beim Derby vor einer Woche in der Wuhlheide. „Nirgendwo ist die Zweite Liga so unangenehm wie in Cottbus“, sagt Herthas zweitligaerfahrener Kapitän Andre Mijatovic, „die Atmosphäre dort ist irgendwie schmutzig“, erst recht für eine Mannschaft, die in der Tabelle minimal vor dem FC Energie platziert ist. Doch mit der Ablehnung verhält es sich bekanntlich wie mit dem Ruhm. Beides will hart erarbeitet werden.

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