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Sport: Es geht doch

Andreas Erm holt Bronze über 50 Kilometer – es ist die zweite WM-Medaille für Deutschland

Paris. Alles hat seine Grenzen. Andreas Erm fand es zwar klasse, dass die Zuschauer gestern Vormittag so feierten. Als Geher ist er solche Reaktionen nicht immer gewohnt. Aber, er befand sich ja auch in den Straßen von Paris. Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft, beim 50 km Gehen. Er war nicht auf irgendeiner Almwiese in Bayern unterwegs.

Und dennoch fühlte er sich ein wenig genervt. Konnten diese Zuschauer nicht endlich mal aufhören, mit ihren riesigen Kuhglocken zu bimmeln? Das empfand er als fürchterlich. Litt er nicht schon genug wegen seiner Hüftprobleme? Reichte es nicht, dass er vor dem Start 17 Spritzen bekommen hatte, damit er überhaupt an den Start gehen konnte? Und reichte es nicht, dass ihm Bundestrainer Ronald Weigel während des Rennens noch Schmerzmittel verabreichte, damit er nicht zusammenbrach. Weigel übergab ihm nicht bloß Tabletten, er baute ihn auch noch mit einem launigen Spruch auf. „Kneif die Arschbacken zusammen, du Sau.“ Wortwörtlich, so hat es Weigel ausgedrückt.

Und dann diese Kuhglocken. „Das ging mir tierisch auf den Keks“, sagte Erm später. Aber er hatte keine Chance gegen den Lärm. Die Kuhglocken galten ja nicht ihm, sie galten dem polnischen Sport-Helden Robert Korzeniowski, dem dreimaligen Olympiasieger. Und wenn sie den Deutschen vom SC Potsdam demoralisieren sollten – um so besser aus Sicht der polnischen Fans. Korzeniowski trieb das Gebimmel auf jeden Fall noch mehr an. Der Pole gewann souverän den WM-Titel, vor dem Russen German Skurygin. Aber Anreas Erm kämpfte sich zu Bronze. Es war sein großer Tag. Er gewann nicht nur Bronze, er ging auch neue deutsche Bestzeit mit 3:37,42 Stunden. Die bisherige Bestmarke hielt Ronald Weigel, der frühere Weltklassegeher, mit 3:38,17 Stunden.

Endlich mal ein großer Erfolg für Andreas Erm. Der hatte schon zu zweifeln begonnen. Bei der Weltmeisterschaft 2001 kam er nicht ins Ziel, 2002 verhinderte eine Schleimbeutelentzündung im Hüftgelenk seinen Start bei der Europameisterschaft in München. Kurz vor den Titelkämpfen hatte er absagen müssen. Er wurde zwar Fünfter bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney über 20 Kilometer, aber seither gab es Verletzungen und Anfang 2003 eine ausgezeichnete Zeit über 50 Kilometer. Dann kamen auch wieder die Schmerzen. „Ich konnte nicht mehr Ausdauer trainieren, sondern nur noch Tempoläufe.“ Was halt so Tempolauf heißt bei einem 50-Kilometer-Geher.

Aber auf jeden Fall war er nicht sicher, wie seine Form ist. Und Weigel wusste es auch nicht so genau. Er trainiert Erm seit dem Herbst 2002. Da löste sich der 26-jährige Sportsoldat von seinem Trainer Siegfried Erm, zugleich sein Vater. Es ging nicht mehr, der Vater hatte gesundheitliche Probleme. „Aber mein Vater wird sich ganz bestimmt genauso über die Medaille freuen wie ich“, sagt Erm. Der Vater dürfte auch an der Entscheidung beteiligt gewesen sein, dass Andreas Erm auf die 50-Kilometer-Distanz gewechselt ist. Über 20 Kilometer sah er einfach keine Perspektive mehr. „Dort ist die Weltspitze zu stark.“

Über 20 Kilometer war Erm mal Vierter bei der Europameisterschaft geworden, aber das ist auch schon wieder fünf Jahre her. Im Übrigen kann er nur gehen, laufen kann er nicht. Jedenfalls nicht auf Wettkampf-Niveau. „Ich habe noch nie einen Marathon absolviert“, sagt er. „Dort würden mir zu sehr die Knie weh tun.“

Sportart ohne Schuhe

Bronze von Erm, Platz acht für Melanie Seeger über 20 Kilometer, Platz 13 für André Höhne über 20 Kilometer, das ist keine schlechte Bilanz für die deutschen Geher. „Durch diese Erfolge müssen wir Werbung für unsere Sportart betreiben“, sagt Erm. Das ist auch dringend nötig. Wer nimmt Gehen schon ernst in Deutschland? Die Sportartikelausrüster jedenfalls nicht sonderlich. André Höhne zum Beispiel erhielt vor einiger Zeit einen netten, aber kurzen Brief, in dem ihm ein solches Unternehmen mitteilte, dass es ihn leider nicht mit Schuhen beliefern könne. Das traf Höhne einigermaßen hart. Schließlich verschleißt er pro Monat einige Paare Geher-Schuhe. In der Not taucht er nun regelmäßig beim Schuhmacher auf und lässt sich dort seine Sportschuhe wieder zusammenflicken.

Und wer weiß schon, wie hart Geher trainieren und was sie leisten? Diverse Sportler im Sportforum Hohenschönhausen in Berlin jedenfalls nicht. Die lächeln meist über André Höhne, wenn der neben ihnen auf der Bahn trainiert. Und manchmal rufen sie ihm auch noch ein paar vermeintlich launige Sprüche zu. Höhne rächt sich dann ab und zu auf seine Weise: Wenn die Spötter auf der Bahn ihre Ausdauerläufe absolvieren, dann geht er einfach in seinem Renntempo an ihnen vorbei. Die Schwächeren überholt er mühelos. Und dann hat er erst mal Ruhe.

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