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Sport: „Es tut immer wieder weh“

Sieben Jahre lang siegten sie, nur in Peking holten sie Silber. Wie gehen die Kanuten Rauhe und Wieskötter damit um?

Herr Rauhe, Herr Wieskötter, wo ist eigentlich Ihre Medaille?

WIESKÖTTER: Bei mir liegt sie in meiner Wohnung in einer Vitrine.

Gleichberechtigt neben den anderen?

WIESKÖTTER: Die goldene aus Athen 2004 liegt etwas weiter vorne. Aber jede Medaille stellt für sich ein kleines Kunstwerk dar. Die Silbermedaille aus Peking sieht schön aus, das muss man sagen.

RAUHE: Bei mir liegen sie alle in einem Schubfach. Mir ist aufgefallen, dass die aus Peking deutlich größer ist als die anderen, nur die Farbe stimmt eben nicht ganz.

Sie haben in Peking nach sieben Jahren ohne Niederlage ein Rennen verloren. Bei der Siegerehrung standen Ihnen Tränen in den Augen. Wie fühlt sich nun Silber an mit fast einem halben Jahr Distanz?

RAUHE: Es ist manchmal noch schwer. Wir haben zwar damit umzugehen gelernt, aber es wird uns immer wieder aufs Brot geschmiert.

Wann denn?

RAUHE: Das fängt damit an, dass wir unser Auto zurückgeben müssen. Wenn wir Olympiasieger gewesen, hätten wir ein Auto gehabt wie alle anderen Olympiasieger. Oder bei der Sportlerwahl. Da muss man schlucken. Es tut immer wieder weh.

WIESKÖTTER: Man ärgert sich noch einmal neu. Da stellt man sich den Rennverlauf vor und denkt: Mein Gott, das war jetzt so knapp, hättest Du mal dies, das anders gemacht. Ich denke da noch oft dran, mehrmals in der Woche. Ab und zu kann ich mich aber auch freuen und bin stolz über die Silbermedaille. Es war doch eine super Leistung, wir sind bis an die Grenze gegangen. Aber genau da, wo die Siegesserie nicht reißen darf, ist sie gerissen.

Welche Bilder gehen Ihnen von Peking am meisten durch den Kopf?

RAUHE: Bei mir ist es das Gefühl, an den Gegnern heranzufliegen, zu denken, man ist gleich vorbei und dann guckt man auf der Ziellinie und sieht, dass ein paar Zentimeter gefehlt haben. Zwei Sekunden später ist unsere Welt schon zusammengebrochen. Was danach kam, lief wie im Film ab. In Athen vier Jahre vorher konnte ich die Siegerehrung richtig genießen. Diesmal haben wir uns eben hingestellt.

Haben Sie sich das Rennen nochmal angeschaut?

RAUHE: Freiwillig nicht.

WIESKÖTTER: Wir mussten es uns ein paar Mal angucken bei Veranstaltungen. Vielleicht kommt das irgendwann, aber im Moment haben wir keinen Bedarf, das aufzuwärmen.

War es kein Trost, in Athen schon die Goldmedaille gewonnen zu haben?

WIESKÖTTER: Es war ein Riesentrost, sich zu sagen: Du hast schon alles erreicht. Sonst wäre ich in ein Loch gefallen.

Ihre Eindrücke von Peking sind noch frisch. Glauben Sie, dass die Eindrücke von Athen und Peking irgendwann gleichgewichtig sind?

WIESKÖTTER: Die Spiele in Peking an sich waren super, das olympische Dorf war das schönste, was ich bei meinen drei Olympiateilnahmen gesehen habe. Aber für den Gesamteindruck ist der Erfolg nun mal ein ganz wichtiger Faktor. Deshalb wird Athen immer an erster Stelle stehen, dann kommt Sydney, weil es unsere ersten Spiele waren, und dann Peking.

RAUHE: Es kommt auch darauf an, was jetzt kommt. Vielleicht sagen wir später mal: Das in Peking waren Olympische Spiele, an denen wir extrem gereift sind.

Hat diese Niederlage also schon etwas Gutes bewirkt?

RAUHE: Das merkt man wahrscheinlich erst, wenn die Wettkämpfe wieder losgehen. Aber ich gehe fest davon aus, dass wir dadurch stärker werden.

WIESKÖTTER: Man kann auf jeden Fall sagen, dass man die eigene Leistung mehr zu schätzen weiß. Es war einfach zu selbstverständlich, dass wir gewonnen haben. Wir sind bei Weltmeisterschaften an den Start gegangen, runtergefahren und hatten den Titel gewonnen. Und das in Serie. Die Silbermedaille ist unsere erste große Niederlage. Für mich war es eine ganz wichtige Lebenserfahrung, mal nicht oben zu stehen. Von manchen Annehmlichkeiten wissen wir jetzt wieder, dass sie etwas ganz Besonderes sind. Die sind eben nur für die Gewinner.

Werden Sie anders behandelt, weil Sie Zweiter geworden sind?

RAUHE: Freunde und Familie tun das natürlich nicht. Die hätten uns auch nicht anders behandelt, wenn wir nicht ins Finale gekommen wären. Aber Leute, die alles nicht richtig verfolgt haben, verpassen einem manchmal einen unsensiblen Spruch nach dem Motto: Hättet Ihr nur mal.

WIESKÖTTER: Es kommt vor, dass Leute fragen: Warum habt Ihr nicht fünf Meter früher mit dem Endspurt angefangen oder zwei Paddelschläge mehr gemacht? Aber wir wissen: Das geht nunmal nicht. Viele haben auch nicht verstanden, dass wir so unzufrieden mit Platz zwei waren. Manche haben gesagt: Lasst die anderen doch auch mal gewinnen, Ihr seid schon Olympiasieger!

RAUHE: Sogar unser Ministerpräsident Matthias Platzeck hat zu uns gesagt: Freut Euch, Ihr steht für mich auf einer Stufe mit den Olympiasiegern. Aber bei den Sportlerwahlen oder anderen Einladungen sieht man: Die Olympiasieger stehen ganz oben, wir eine ganze Stufe darunter.

WIESKÖTTER: Das fing schon im deutschen Haus in Peking an. Da durften wir anders als vier Jahre vorher in Athen diesmal abends nicht auf die Bühne. Aber auch für uns gibt es im Kopf einen Unterschied zwischen Olympiasieger und den Zweiten, sonst wären wir ja nicht so enttäuscht. Dazu kommt: Wenn man in unserer Sportart nicht Gold holt, ist es fast unmöglich mal im Fernsehen aufzutreten.

Der Zweite ist der erste Verlierer?

RAUHE: Auf diesen Satz will ich mich nicht einlassen. Das ist nicht das, was mich am Sport fasziniert. Wenn mir jemand so etwas sagt, würde ich es ihm deftig zurückgeben.

WIESKÖTTER: Es ist heikel. Einerseits fühlen wir uns als Verlierer, weil wir das Duell gegen die Spanier verloren haben. Wir wollten Gold holen. Etwas anderes hatte für uns nicht gezählt. Aber andererseits haben wir doch etwas gewonnen, die Silbermedaille.

Dank Ihrer beiden Sponsoren Mercedes-Benz und O2 waren Sie die ersten Profis in Ihrer Sportart. Was wird nun?

WIESKÖTTER: Beide Partner haben gesagt, dass Sie ihr Sponsoring nicht weiterführen möchten. Zu den Gründen gehört nicht, dass wir Zweiter geworden sind – zumindest offiziell nicht. Das unterstellen wir denen auch nicht.

RAUHE: Da bricht ein großer Teil weg. Im Moment sind wir im leeren Raum und wissen nicht, was weiter passiert. Tim ist nicht mehr lange bei der Bundeswehr, ich scheide schon Ende Januar aus. Da bricht eine weitere Säule weg. Hätten wir Gold geholt, wäre die Verhandlungsbasis größer. Jetzt ist wegen der Finanzkrise die Sponsorensuche schwer, gerade in der Automobilbranche.

Was machen Sie, wenn Sie keine neuen Sponsoren finden?

WIESKÖTTER: Dann rückt der Beruf an die erste Stelle und verdrängt den Sport. Wir würden ein Studium machen und in den Pausen versuchen, zu trainieren. Bisher haben wir in den Hochzeiten vier bis fünf Stunden am Tag trainiert. Das würde auf zwei Stunden runtergehen.

RAUHE: Das führt dazu, dass wir nicht mehr zur Weltspitze gehören.

Rückt Olympia 2012 in London dadurch in weite Ferne?

WIESKÖTTER: Nein, London 2012 ist erstaunlich nah. Das bleibt das Ziel für uns. Wir haben es ja schon erlebt, wie schnell die vier Jahre bis zu den nächsten Spielen vergehen können.

RAUHE: Noch haben wir einen kleinen Puffer und die Hoffnung, dass es mit Sponsoren weitergeht. Bis dahin bleibt die Motivation ungebrochen. Ich will 2012 in London zeigen, dass mehr in uns steckt. Ich will das einfach richtig stellen.

Das Gespräch führte Friedhard Teuffel

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