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Sport: „Es wurden nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft“

Handball-Idol Erhard Wunderlich über Schwächen in der WM-Organisation und die Chancen der deutschen Mannschaft

Herr Wunderlich, war Handball früher brutaler als heute?

Wieso?

Wir haben uns das Finale von 1978 angeschaut. In einer Szene wird Kurt Klühspieß von Maximow mit der Faust ins Gesicht getroffen, er fällt um, wird behandelt und dann vom Spielfeld getragen. Irgendwann sagt der Reporter...

... Fritz Hattig.

Ja, Fritz Hattig sagt: „Und jetzt wird das Blut weggewischt.“ Er sagt das ohne große Emotionen. Fand er offenbar normal.

Normal war das nicht. Aber es gibt schon Unterschiede zur Gegenwart. Heute wissen die Spieler, dass Handball ihr Job ist, und wenn einer durch ist, dass man ihn nicht mehr einer Verletzungsgefahr aussetzt. Das ist heute Kodex: Man lässt seinen Gegenspieler dann werfen. Damals war durch den Eisernen Vorhang, durch diesen ständigen Kampf zwischen Ost und West, eine gewisse Proportion von Überhärte angesagt.

Der Kampf der Systeme.

Richtig. Für den kommunistischen Sport war es wichtig, uns zu schlagen. Und wir wollten, obwohl wir nicht so motorisiert trainiert waren wie die, denen natürlich immer wieder eins auswischen. Das ist uns in diesen Jahren zwischen 1978 und 1986 fast jährlich gelungen.

Sie sagen „motorisiert trainiert“. Waren die Russen schon Profis?

Die haben nichts anderes gemacht.

Wie war das in Deutschland? Wie viel haben Sie verdient, als sie 1976 zum VfL Gummersbach kamen?

Ich glaube, so 200 Mark im ersten Jahr, im zweiten dann 300. Wobei mir unser Manager Eugen Haas immer gesagt hat: Junge, mach Dir keine Gedanken, Du verdienst bald sowieso viel mehr Geld. Damals habe ich mir mit jemand anderem noch eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung geteilt, die wurde also auch noch gestellt. Für mich als 19-jährigen Jugendlichen war das also okay, ich musste mir meine Sporen ja noch verdienen.

Wie oft haben Sie trainiert?

Dreimal die Woche. Ab 1978 dann aber schon fünfmal oder sechsmal.

Was hat sich heute entscheidend verändert, abgesehen davon, dass heute mehr trainiert wird?

Einige Leute behaupten heute, wir hätten damals Schlafwagenhandball gespielt, das halte ich für Unsinn. Wir konnten auch sehr schnell spielen und Dampf machen. Diese Vergleiche von damals zu heute sind unsinnig. Die Regeln sind einfach anders gewesen.

Dann hat die Regelkommission 1995 alles richtig gemacht, als sie das Spiel mit der „Schnellen Mitte“ beschleunigt hat, der Möglichkeit, nach einem Gegentor sofort den Angriff zu starten.

Klar, so ist das Spiel viel attraktiver geworden.

Was war der Unterschied zwischen der WM 1982, die auch in der BRD stattfand, zu der heute?

Damals hatten wir die Medien voll im Boot. ARD und ZDF haben fast alle Spiele übertragen, und auch die Spiele ohne deutsche Beteiligung in Kiel, Hamburg oder Bremen. Dass zwei Wochen vor einer WM noch nicht feststand, was endgültig gezeigt wird, finde ich katastrophal. Wenn ich höre, dass der Weltverband IHF für 33 Millionen Euro die TV-Rechte an Sportfive verkauft und keinen Katalog vorgibt, dass möglichst viele Spiele im Free-TV zu senden sind, dann verstehe ich die Welt nicht mehr.

Sportfive bietet alle Spiele im Internet an.

Ja, aber ein Jugendlicher zwischen 10 und 17 Jahren kann normalerweise nicht per Kreditkarte diese Spiele ansehen, weil er keine Kreditkarte hat. Wenn man so viel für die Jugendlichen tun will, dann ist das doch kontraproduktiv. Nicht mal ein schönes Spiel wird freigeschaltet, um Werbung zu machen. So kommt diese Klientel nicht zum Handball. Im Gegenteil: Wir schließen dadurch die Jugendlichen von unserem Sport aus. Das ist völlig unverständlich.

Hat der Weltverband versagt?

Ich sage es mal so: Die IHF hat hohe Pflichten, und denen scheint sie nur spät nachgekommen zu sein, offenbar aufgrund des Drucks durch Sponsoren. Auch wenn das DSF nun doch 19 Spiele von der WM übertragt, haben die Verantwortlichen hier schlechte Arbeit geleistet.

Auch hinsichtlich der Sponsoren?

Auch hier kam doch alles zu spät. Alles war nur ein Chaos. 1982 standen die Sponsoren schon viel früher fest, und sie hatten auch eine andere Qualität. Damals waren Sony, Mercedes und Coca-Cola von vornherein dabei, das war klar. Diesmal ist nichts für die Marke Handball, die noch keine ist, getan worden.

Wie beurteilen Sie die Arbeit des Deutschen Handball-Bundes?

Deren Funktionäre erzählen immer, wie viele Tickets schon verkauft worden sind. Dabei verkaufen sich diese Karten im Schlaf, das war 1982 auch schon so.

Sie reisen viel durch Deutschland, auch durch ihre Tätigkeit als TV-Experte. Haben Sie viel Werbung gesehen für die WM?

Nein. Das heißt doch, einmal: In Halle/Westfalen. Wenn man dort die Straße rein- und rausfährt, dann weisen elektronische Plakate auf die WM hin. Aber deren Öffentlichkeitsarbeit ist sowieso rührig. Ansonsten fand ja nicht viel statt.

Was hätte man besser machen können?

Ach, all die Nachkarterei bringt eigentlich nichts. Beim DHB haben sie ihre Organisationskomitee gebildet und, statt einen erfahrenen Geschäftsführer einzustellen, lieber pro Monat 2000 Euro an sich selbst auszahlen. Sie sind ihren Weg gegangen. Aber all die großen Mängel, die da sind, die werden verblassen durch einen fantastischen Sport vor großartigen Kulissen in modernen Hallen. Diese Sensationsspiele werden alles, was im Vorfeld falsch lief, überdecken. Nach dem Finale am 4. Februar wird das kein Schwein mehr interessieren. Und das ist schade. Denn diese WM, und vor allem die Sportler, hätten noch mehr verdient gehabt. Es sind längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden.

Hat die Mannschaft das Zeug, Weltmeister zu werden?

Das Team war schon bei der WM 2005 sehr weit. In der Schweiz hat es nur einmal verloren. Das zeigt, dass es eine gewisse Stabilität hatte. Aber in den letzten Monaten war mir das alles viel zu negativ, es wurde zu viel gejammert. Ich höre immer nur: Verletzungspech. Dabei hat diese Mannschaft eine große Qualität, die hätte man herauskehren müssen. Ich habe nur von Markus Baur gehört, dass wir Weltmeister werden. Nein, ich glaube an die Mannschaft. Wenn sie nach Köln kommen, in die K.-o.-Runde, dann haben die Jungs eine riesige Chance. Dann ist alles möglich und, ohne utopisch zu klingen, dass wäre für die Spieler, Heiner Brand und den Handball eine gigantische Sache, auch für die Zukunft.

Das Gespräch führte Erik Eggers

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