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Fanfeste

© dpa

Essay: Die Event-Fans: Keine Ahnung? Kein Problem!

Seit der Weltmeisterschaft 2006 prägen sie das Straßenbild des Fußballs: die Event-Fans. Für sie steht nicht der Sport, sondern das soziale Ereignis im Vordergrund. So wird das Spiel zum Unterhaltungsprodukt zwischen Katholikentag und Rock am Ring degradiert.

Es gehört in diesen Wochen nicht viel dazu, Deutschland-Fan zu sein. Ein Leibchen mit dem Bundesadler für 5,95 Euro, ein schwarz-rot- goldener Irokese für 3,95 oder ein Fähnchen fürs Autodach, als Beilage in der Tageszeitung.

Und weil das alles so einfach ist, musste beim Halbfinale gegen die Türken die gerade frisch eröffnete Berliner Fanmeile schon wieder wegen Überfüllung schließen, sind alle Kneipen mit Fernsehanschluss seit Turnierbeginn gerammelt voll, präsentiert sich ganz Deutschland als Bundesfankurve.

Nun ist dieses Phänomen der bevölkerungsübergreifenden Fußball-Begeisterung nicht ganz neu. Schon 2006 gingen selbst Hausfrauen im Deutschland-Trikot zum Einkaufen, flaggten ganze Straßenzüge Schwarz-Rot-Gold und verbrachten Hunderttausende ihren Jahresurlaub auf den Fanmeilen der Republik. Es waren dies aber keine Fußballfans im eigentlichen Sinn, keine Stadiongänger und Auswärtsfahrer mit Hunderten Spielen auf dem Buckel.

Stattdessen tummelte sich auf den Meilen, in den Kneipen und Kurven ein neuer Fantypus: der des amüsierwilligen Event-Fans. Ausgestattet mit rudimentärem Basiswissen über Poldi und Schweini und einer Ahnung davon, dass es außer Deutschland noch andere Mannschaften gibt, dazu bedingungslos begeisterungsfähig und bereit, in jede laufende Kamera zu brüllen: „Deutschland, geil, Finale, jaaaahaha“. Kurzum: Fußball war 2006, und ist auch 2008, sportlicher Buddhismus. Man muss ihn nicht verstehen, kann ihn aber trotzdem toll finden. Zumal sich das Live-Erlebnis Fußball inzwischen völlig den Bedürfnissen der amüsierwilligen Anhänger angepasst hat, im Stadion und auf den öffentlichen Plätzen. Auf der Fanmeile treten prominente Bands auf. Statt der Polizeikapelle, die früher vor dem Anpfiff ein wenig lustlos über den Rasen marschierte, wummert im Stadion bis zum Anpfiff laute Partymusik aus den Boxen. Die Stadionsprecher sagen nicht mehr die Aufstellungen der Teams durch, sondern animieren die Zuschauer zum Klatschen und Mitsingen der eingespielten Titel. Es herrscht Hütten-Hammer-Stimmung. Würden sich nicht nebenbei noch die Mannschaften warmmachen, man käme nicht auf die Idee, gleich werde ein Fußballspiel angepfiffen.

Beim Vorrundenspiel zwischen Deutschland und Österreich in Wien brüllte der österreichische Stadionsprecher Andy Marek zwischendurch gar den schönen Satz ins Mikrofon: „Und nun zünden wir die finale Stimmungskanone – mit der La-Ola-Welle“. Dabei hatte das Spiel noch nicht einmal angefangen.

Derart animiert, herrscht, oberflächlich betrachtet, in den Stadien eine deutlich bessere Stimmung als früher, als die Zuschauer in den Minuten vor dem Spiel ohne Aufforderung durch den Stadionsprecher anfangen mussten zu singen. Verloren gegangen ist dabei jedoch jede Spontanität, jede Kreativität der Fankurven. Gesungen wird, was gerade beim Stadion-DJ auf dem Plattenteller liegt. Und das ist meist Kirmesmusik ohne jeden Bezug zum Fußball.

Was traditionellen Anhängern an den Event-Fans jedoch besonders aufstößt, ist deren ostentative Anspruchshaltung. Der alteingesessene Supporter bezieht seine Identität als Fan aus der lebenslangen Bindung an den Fußball und seinen Klub. Nichts kann diese Zuneigung erschüttern, keine Niederlage, kein Abstieg, keine Ehekrise. Der Fußballjournalist Christoph Biermann hat dies einmal hübsch in einem Buchtitel zusammengefasst: „Wenn Du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen.“ Traditionelle Anhänger kämen nie auf die Idee, die Nationalelf wegen eines schwachen Spiels auszupfeifen.

Event-Fans haben da weniger Hemmungen. Sie wollen schließlich unterhalten werden, jubeln, Deutschland-Fahnen schwenken, die Sportfreunde Stiller nachsingen. Das fällt blöderweise alles flach, wenn die deutsche Elf gegen Kroatien sang- und klanglos mit 1:2 verliert. Dann wird gepfiffen, gemosert und auf der Rückfahrt schnell das Deutschland-Fähnchen vom Autodach entfernt. Torsten Frings hat sich mal über solche Treulosigkeit mokiert: „Eben noch die EM- Favoriten, nun die Deppen der Nation. Das gibt es nur in Deutschland.“

Dass die Stimmung in den Stadien und auf den Public-Viewing-Veranstaltungen angesichts mauer Leistungen so schnell umkippt, hat natürlich auch mit der mitunter fehlenden Sachkunde der Amüsier-Fans zu tun. Dass auch ein Kick ohne spektakuläre Tore am Fließband seinen eigenen taktischen Reiz haben kann, dass sich die Qualität eines Spiels nicht allein an den Hackentricks und Übersteigern bemisst, ist ohne zumindest ein wenig Erfahrung im Fußballschauen nicht zu begreifen. Der Wille zur Fortbildung ist allerdings unter vielen Event-Fans nicht sonderlich ausgeprägt. Schließlich geht es dem Volk der neuen Fans nicht um den Fußball, nicht um deutsche Siege, sondern allein um das gemeinschaftliche Erlebnis, irgendwo zwischen Katholikentag und Rock am Ring. Weil aber das eine den Glauben voraussetzt und das andere Eintritt kostet, geht der Event-Fan lieber zur Fanmeile. 2006 und 2008 und natürlich auch 2010. Mit Deutschland-Trikot beim Einkauf und Fahne am Auto.

Philipp Köster ist Chefredakteur von „11 Freunde“, dem Magazin für Fußballkultur.

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