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Sport: Essen, schlafen, Biathlon

Die Poirées sind das erfolgreichste Ehepaar im Sport, weil sie sich auf das Wesentliche konzentrieren

Nicht nur der Weg zum Sieg ist steinig. Auch die Anfahrt zu Goldmedaillengewinnern kann ganz schön beschwerlich sein. Erst die dritte Abzweigung von der steilen Schotterpiste endet bei Liv Grete und Raphael Poirée, dem erfolgreichsten Ehepaar, das der Sport zu bieten hat: In der Einsamkeit des norwegischen Halandsdalen, 50 Kilometer östlich von Bergen, bauen die Poirées gerade ihr neues Heim. Auf dem Dach des Holzhauses wächst schon Gras. Unterhalb des Geländes erstreckt sich der Skjelbreid-See, an dessen Ufer die Eltern von Liv Grete Poirée 50 Kühe auf die Weide schicken. Oberhalb steht nur noch nackter Fels.

„Hier ist es einfacher zu leben als in der Stadt“, sagt die viermalige Biathlon-Weltmeisterin von Oberhof, „hier bin ich nicht der Star, sondern die Liv Grete. Das ist auch gut für meine Tochter Emma, sie soll wie ein ganz normales Mädchen aufwachsen.“ Stolz sind die weit verstreut wohnenden Menschen in der 200-Einwohner-Gemeinde aber allemal auf ihre treffsicheren Nachbarn: Im Postamt, im Supermarkt oder in der Bücherei, überall hängen Bilder der erfolgreichen Biathleten. Raphael Poirée ist längst adoptiert in Halandsdalen. „Ich fühle mich wohl in Norwegen“, sagt der Franzose und ist von der Mentalität norwegischer Sportler beeindruckt: „Das sind geborene Sieger, die sich nur aufs Wesentliche konzentrieren: essen, schlafen und trainieren.“

Ganz normale Leute seien die Poirées geblieben, „genau wie wir“, hat die Verkäuferin im Supermarkt wieder erfreut festgestellt, als sich das Familienunternehmen im Sommer auf die Saison vorbereitet hat. Und die Frau an der Kasse hat die Fremden ermahnt, nicht zu schnell zu fahren. Denn die engen Straßen sind das Trainingsgebiet der Poirées, auch im Sommer trainieren sie dort. Die von den Gletschern hinterlassene Topografie ist durch den ständigen Wechsel von Steigungen und Abfahrten ideal, um sich auf Skirollern, Rädern oder mit Jogging für die Loipen fit zu machen. Allerdings sind die Straßen auch ein sehr gefährliches Gelände. „Die meisten haben keine Ahnung, dass wir mit den Skirollern gar nicht richtig bremsen können“, sagt Liv Grete Poirée, „aber wir haben hier keine andere Möglichkeit zum Laufen.“

Immerhin hat die Gemeinde mittlerweile eine Schießanlage hinter der Grundschule von Halandsdalen gebaut. Früher zielte die 30-Jährige im Hof der Skjelbreids auf die Scheiben, die der Vater aufgebaut hatte. „Das gemeinsame Training ist jedes Mal wie ein Wettbewerb für uns, vor allem beim Schießen ist es ein heißer Kampf“, sagt Raphael Poirée, der als Weltcup-Führender ins neue Jahr geht. „Seitdem wir zusammenleben, sind wir viel besser geworden“, ergänzt Liv Grete. Ihr Mann bedauert allerdings, dass sich seine Landsleute immer noch weniger für die sportlichen Leistungen als für die Liebesgeschichte der beiden interessieren.

1994 hatten sich Liv Grete Skjelbreid und Raphael Poirée kennen gelernt, vor vier Jahren haben sie geheiratet. Die meiste Zeit verbringt die Familie in Norwegen, sonst trainieren sie bei Grenoble oder mit den Nationalteams. Die Auswahl-Biathleten beider Länder haben sich den Poirées unterzuordnen. „Wir bezahlen einen eigenen Wachser, unseren Konditionstrainer und ein Kindermädchen, wir sind unsere eigenen Chefs“, sagt Raphael Poirée. Die bald zweijährige Tochter Emma ist immer dabei, wenn die Poirées unterwegs sind. „Seit ihrer Geburt muss ich mich schon einschränken und die Zeit besser einteilen“, sagt Liv Grete.

Viermal ist sie in Oberhof Weltmeisterin geworden, das lässt kaum noch Verbesserungen zu. „Aber Liv Grete ist so ehrgeizig und trainiert weiterhin so hart, wie ich es noch nie bei jemandem erlebt habe“, sagt Nationaltrainer Odd Lirhus. Sieben von zehn möglichen Titeln bei der WM, insgesamt neun Medaillen, dazu für jeden der Weltcup-Gesamtsieg – in der Vorsaison haben die beiden umfassend abgeräumt. Warum haben sie nach diesem einmaligen Triumph nicht einfach aufgehört? „Ich fühle mich noch sehr jung im Biathlon und kann noch viel erreichen“, sagt der 30 Jahre alte Poirée. Und seine Frau glaubt, noch lange nicht auf ihrem besten Level zu sein. „Solange ich das Optimum nicht erreicht habe, bin ich motiviert.“

Und dann gibt es ja tatsächlich noch ein gemeinsames Ziel: Eine Goldmedaille bei Olympia hat noch keiner der beiden gewonnen. Deshalb wollen sie mindestens bis zu den Spielen 2006 in Turin gut in Schuss bleiben. „Ich kann nur hoffen, dass mir die deutschen Mädchen dann nicht im Weg stehen“, sagt Liv Grete Poirée.

Thomas de Marco[Halandsdalen]

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