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Sport: Europameister der Vorrunde

Der große Favorit Holland enttäuscht spielerisch und scheidet durch ein 1:3 gegen Russland nach Verlängerung aus dem Turnier aus. Gescheitert ist Holland auch an einem Landsmann: Russlands Trainer Guus Hiddink

Blitzschnelle Konter, technisch feinste Schüsse, viel umjubelte Tore – das war Holland in der Vorrunde der Europameisterschaft.

Verlorene Zweikämpfe, stockender Spielaufbau, kaum Torchance – das war Holland im Viertelfinale gestern gegen Russland. 1:3 sind sie nach Verlängerung ausgeschieden und können nur hoffen, dass die Erinnerung an ihren rauschhaften Fußball der Vorrunde stärker sein wird als an den in der K.o.–Runde.

Der Turnierfavorit ist draußen, besiegt von diszipliniert spielenden Russen, die im Halbfinale am Donnerstag auf den Sieger zwischen Spanien gegen Italien treffen. Die entscheidenden Tore in der zweiten Hälfte der Verlängerung erzielten Torbinski und Arschawin.

Die Russen fühlen sich wohl als Underdog. Vor dem Viertelfinale hatte ihr holländischer Trainer Guus Hiddink energisch die Außenseiterrolle für seine Mannschaft beansprucht – und damit Widerspruch beim Kollegen Marco van Basten provoziert, dessen Mannschaft in der Vorrunde die überzeugendsten Auftritte des Turniers geboten hatte. Doch auch die Russen hatten mit ihrem 2:0-Erfolg im finalen Gruppenspiel gegen Schweden gezeigt, dass sie zu ansehnlichem Fußball in der Lage sind.

„Hoffentlich ist es das Treffen zweier Teams, die Fußball spielen wollen“, hatte Guus Hiddink vor dem Spiel gesagt. Mit der Begegnung waren die Hoffnungen auf einen ästhetisch anspruchsvollen Abend verbunden gewesen. Es ging auch darum, welche Mannschaft sich fortan das wahre Holland nennen darf. Doch, wie so oft, wenn die Erwartungen hoch sind, wurden sie lange deutlich unterboten. Dem Spiel fehlten vor der Pause Tempo und Dynamik, die Holländer zogen sich weit zurück, kamen jedoch zu keiner einzigen gefährlichen Kontersituation.

Die Mannschaft von van Basten offenbarte zudem Schwächen in der Spielgestaltung. Trotz erstklassiger Fußballer wie Wesley Sneijder oder Rafael van der Vaart fanden die Holländer nie zu ihrem Kombinationsfluss. Die beste Chance hatte Oranje bei einem scharf auf das Tor geschlagenen Freistoß von van der Vaart, der knapp am Pfosten vorbei flog.

Van Basten reagierte früh auf die spielerischen Mängel und brachte zu Beginn der zweiten Halbzeit Robin van Persie. Russlands holländischer Trainer Guus Hiddink hatte seine Mannschaft im Vergleich zum Sieg gegen Schweden auf einer Position verändert. Iwan Sajenko vom Bundesliga-Absteiger 1. FC Nürnberg spielte für Dinijar Biljaletdinow im offensiven Mittelfeld. Bei den Holländern kamen mit Rafael van der Vaart, Joris Mathijsen und Nigel de Jong drei Profis vom Hamburger SV zum Einsatz. Auch der frühere Hamburger Khalid Boulahrouz stand in der Anfangsformation, obwohl seine zu früh geborene Tochter in dieser Woche gestorben war. Die holländische Mannschaft spielte daher mit Trauerflor.

Als Boulahrouz kurz nach der Pause ausgewechselt wurde, bedachten ihn die Fans mit besonderem Beifall. Seine Position nahm Johnny Heitinga ein, der zwei Minuten später einen schlechten Einstand hatte. Heitinga ließ Sergej Semak reichlich Platz, seine Hereingabe erwischte Roman Pawljutschenko vor Mathijsen – der starke Torhüter Edwin van der Sar hatte gegen dessen Abschluss keine Abwehrchance.

Für die Holländer ergab sich durch das 0:1 eine völlig neue Geschäftsgrundlage: Zum ersten Mal während der Europameisterschaft waren sie in Rückstand geraten, und das erschwerte ihnen die Angelegenheit noch zusätzlich. Die Russen zogen sich nun weit zurück und ließen ihrem Gegner wenig Raum zum Kombinieren. Punktuell bereiteten die Russen die Holländer noch ernste Schwierigkeiten. De Jong musste einmal in höchster Not klären, Torhüter van der Sar rettete nach der schönsten Kombination des Spiels gegen Anjukow, und Sajenko verpasste eine etwas zu scharfe Hereingabe von Arschawin. In dieser Phase fehlte den Russen die Fähigkeit zum finalen Schlag. Nur dank einer Standardsituation retteten sich die Holländer noch einmal. Einen perfekt getretenen Freistoß von Wesley Sneijder köpfte van Nistelrooy zum 1:1 ein.

Am Ende war dieses Tor trotzdem vergebens. Genauso wie die schönen Auftritte in der Vorrunde, mit denen die Holländer das Publikum verzückt haben. Russland spielte in der Verlängerung deutlich besser, der Lohn waren die beiden Tore. Wenn der Pokal vergeben wird, sind die Holländer wie immer seit 1988 und davor nur noch Zuschauer. Dass sie diesmal von einem Holländer besiegt wurden, wird ihren Schmerz auch nicht entscheidend lindern.

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