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Polyvalent: Fabian Lustenberger hat auch schon einmal im Tor der Hertha gestanden. 2010 gegen 1860 München war das, nachdem Torwart Marco Sejna zuvor mit einer roten Karte vom Platz gestellt worden war.

© dpa

Fabian Lustenberger im Interview: "Ich möchte im defensiven Mittelfeld spielen"

Allrounder Fabian Lustenberger spricht im Tagesspiegel-Interview über seine Vielseitigkeit, seine vielen Verletzungen und Herthas Chancen in der Ersten Liga.

Herr Lustenberger, Ihr Trainer Jos Luhukay hat am Wochenende im Zusammenhang mit Ihnen den Lieblingsbegriff von Lucien Favre verwendet. Können Sie sich vorstellen, welchen?
Polyvalent wahrscheinlich (lacht). Den Begriff hat man lange nicht mehr gehört.

Ist es Segen oder Fluch, polyvalent, also vielseitig zu sein?

Beides. Es ist ein Segen, weil es bedeutet, dass ich ohne Qualitätsverlust mehrere Positionen bekleiden kann und dadurch meine Chance steigt zu spielen. Auf der anderen Seite ist es manchmal schwierig, sich innerhalb kurzer Zeit auf eine neue Position einzustellen. Aber in dieser Saison habe ich ja zu 99 Prozent in der Innenverteidigung gespielt. Da musste ich nicht besonders polyvalent sein.

Zuletzt sind Sie aber auch wieder im defensiven Mittelfeld zum Einsatz gekommen. Wann teilt der Trainer Ihnen das mit?

Vor dem letzten Spiel in Köln haben wir das erst in der Teambesprechung erfahren. Vielleicht informiert der Trainer andere Spieler schon vorher, aber bei mir hat er das noch nie gemacht. Jos Luhukay ist eben immer für Überraschungen gut.

Aber Sie werden im Training zumindest eine Ahnung bekommen, auf welcher Position der Trainer Sie einsetzt.

Vor dem Kölnspiel habe ich die ganze Woche lang als Innenverteidiger trainiert.

Steckt da System hinter, um die Mannschaft auf Spannung zu halten?

Das glaube ich nun wieder nicht. Es liegt wohl daran, dass Luhukay oft bis zuletzt nachdenkt, was das Beste ist und sich vielleicht kurzfristig noch umentscheidet. Der Trainer hat oft das richtige Bauchgefühl gehabt.

Haben Sie auch ein bisschen Theorie gepaukt, wie man sich als Innenverteidiger verhalten muss, wie man in die Zweikämpfe geht, welchen Abstand man zu seinen Nebenleuten hält?

Nein, überhaupt nicht. Man gewöhnt sich daran. Am Anfang war es eine Umstellung, klar. In der Vorbereitung hatte ich ein paar Fehler drin, die zu Gegentoren geführt haben. Aber wenn man regelmäßig und dann auch erfolgreich auf dieser Position spielt, entwickelt man ein Selbstverständnis für seine Aufgabe. Das war bei mir der Fall. Sie können aber auch Jay Brooks nehmen …

… Ihren Partner in der Innenverteidigung.

Von dem hat niemand erwartet, dass er so einschlägt. Mittlerweile hat er ein solches Selbstvertrauen, dass er überhaupt kein Problem hat, in Köln vor 50.000 Zuschauer seinen Stiefel runterzuspielen.

Sie harmonieren im Spiel sehr gut, haben Sie auch außerhalb des Fußballplatzes viel miteinander zu tun?

Nein, überhaupt nicht. Das ist auch nicht Sinn und Zweck einer Partnerschaft auf dem Rasen. Jay besitzt einfach eine gute Spielintelligenz. Das sieht man auch daran, dass er bis heute keine einzige Gelbe Karte kassiert hat. Wir ergänzen uns einfach gut. Aber wir profitieren auch davon, dass vor uns viel abgeräumt und uns das Leben dadurch vereinfacht wird.

"Ich habe vollstes Vertrauen in meinen Körper."

Aber Ihr Traum war es nicht, als Innenverteidiger zu spielen?

Nein, das nicht. Aber ich lebe meinen Traum, und das ist Fußball spielen. Wenn mich der Trainer in der Innenverteidigung braucht, mache ich das. Ich bin inzwischen so, dass ich die Sachen so annehme, wie sie kommen.

In der Schweizer Nationalmannschaft gibt es trotz Ihrer Vielseitigkeit weiterhin keinen Platz für Sie. Was ist Ihnen dabei mehr dazwischen gekommen: die Verletzungen oder die beiden Abstiege mit Hertha?

Puh, schwer zu sagen. Wahrscheinlich beides. Dass die Abstiege nicht förderlich sind für eine Karriere in der Nationalmannschaft, ist klar. Andererseits habe ich durch den Abstieg jetzt eine komplette Saison mitgemacht. Wenn ich Sonntag noch mal durchspiele, habe ich von 34 Spielen 32 über 90 Minuten bestritten. Das ist ein Zeichen, dass es jetzt bei mir in die andere Richtung geht. Hoffe ich.

Könnte es sein, dass Ihnen die neue Position körperlich entgegen kommt?

Kann sein, ja. In dieser Saison bin ich jedenfalls nicht an meine körperlichen Grenzen gestoßen. Als Innenverteidiger muss man weniger laufen, die Position ist physisch weniger anstrengend. Aber ich lasse mir nicht nachsagen, dass ich nur deswegen verletzungsfrei durch die Saison gekommen bin. Ich behaupte mal, dass ich das als Sechser auch hätte schaffen können.

Sie spielen auf die Vorbehalte an, dass Sie für einen Profifußballer zu schmächtig und nicht robust genug sind. Die beiden Ermüdungsbrüche haben solche Vorurteile noch genährt. Haben Sie selbst mal an Ihrem Körper gezweifelt?

Zweifel hatte ich nie. Es gibt x andere Spieler, die genau die gleichen Verletzungen hatten wie ich. Wenn sie wieder spielen, kräht da kein Hahn mehr nach. David Alaba von Bayern München hatte auch einen Ermüdungsbruch. Aber es ist nicht ein Satz darüber geschrieben worden, dass er vielleicht nicht für den Fußball geeignet wäre. Ich lasse solche Urteile auch für mich nicht gelten. Ich habe vollstes Vertrauen in meinen Körper.

In der Bundesliga dürften die Belastungen als Innenverteidiger etwas höher sein.

Weiß ich nicht, ich habe noch nie als Innenverteidiger in der Bundesliga gespielt (lacht). Vielleicht ist es vom Läuferischen sogar noch weniger intensiv. Wenn wir in der Bundesliga etwas tiefer verteidigen, müsste man noch weniger laufen. Wir stehen ja in der Zweiten Liga ziemlich hoch, dadurch sind die Wege einfach weiter.

Wenn Jos Luhukay jetzt sagen würde, Sie dürften sich eine Position aussuchen …

… dann würde ich sagen: Ich möchte im defensiven Mittelfeld spielen. Weil man mehr im Spiel drin ist, weil man mehr Aktionen hat und weil man mehr nach vorn machen kann. Man hat schlicht mehr Ballkontakte, kann den Ball mal annehmen, mal einen Doppelpass spielen.

Kommen Ihre Stärken auf der Sechserposition besser zum Tragen?

Das glaube ich schon. Balleroberungen hat man in der Innenverteidigung ja nicht so extrem viele. Aber eine gewisse Spielintelligenz und die Fähigkeit, ein Spiel zu lesen, helfen einem auch als Abwehrspieler. Wenn man entscheiden muss, ob man in einen Zweikampf geht oder ob man lieber einen Schritt zurück bleibt.

Ist es Ihre Maxime, möglichst wenige Zweikämpfe zu führen?

Nicht unbedingt. Es ist wichtig, im richtigen Moment die Zweikämpfe zu führen. Wenn ein Gegenspieler mit der Brust zum Ball geht, halte ich mich zurück, weil ich weiß, dass es sonst vermutlich einen Freistoß gegen uns gibt. Also warte ich lieber ab, bis er den Ball angenommen hat, und versuche dann, ihn unter Druck zu setzen.

Bekommen Sie das Signal mehr aus dem Kopf oder mehr aus dem Bauch?

Mehr aus dem Kopf. Ich beobachte und versuche zu erkennen: Wo könnte der Ball hinkommen? Was macht der Gegenspieler? Dann entscheidet man sich für eine Richtung. In dieser Saison war es meistens die richtige.

"In der Ersten Liga wird es nicht langweilig."

Sind Sie jemand, der im Zweifel auf seinen Verstand hört?

Ja, klar. Man muss die Entscheidungen treffen, die am vernünftigsten sind. Ich bin kein Typ, der große Risiken eingeht, weder privat noch auch auf dem Platz.

War es auch die Entscheidung mit dem geringsten Risiko, bei Hertha zu bleiben und den Vertrag zu verlängern?

Wenn man das böse formulieren will, kann man das vielleicht so sagen.

Wie würden Sie es formulieren?

Ich habe immer gesagt, dass ich mich bei Hertha und in Berlin wohl fühle. Ich habe hier ein Umfeld, das ich kenne. Wenn man die Chance hat, hier zu bleiben und eine gute Rolle zu spielen, muss man nicht wechseln nur um des Wechselns willen.

Haben Sie denn das Risiko ausgeschlossen, zum dritten Mal mit Hertha in die Zweite Liga zu gehen?

Das kann man nie ausschließen. Vor allem als Aufsteiger nicht.

Man kann den Fall ja für sich vertraglich ausschließen.

Über Vertragsinhalte will ich nicht sprechen. Aber Sie können mir glauben, dass das nicht das primäre Thema bei den Verhandlungen war. Es ging um eine sportliche Perspektive. Und die stimmt momentan einfach.

Sie haben bei Hertha alle Extreme erlebt: Kampf um die Meisterschaft, zwei Abstiege, zwei Aufstiege. Sehnen Sie sich nicht mal nach einer richtig langweiligen Saison?

Kommt drauf an. Es könnte ja auch spannend werden nach oben (lacht). Ich glaube, in der Ersten Liga wird es nicht langweilig. Vor zwei Jahren hieß es: Hertha ist kein normaler Aufsteiger. Meiner Meinung nach gibt es nur normale Aufsteiger. Vielleicht gibt es Aufsteiger, die einen besseren Kader haben. Aber jede Mannschaft, die in der Saison zuvor in der Zweiten Liga gespielt hat, muss sich in der Bundesliga erst wieder neu beweisen.

Was macht Sie sicher, dass Hertha das diesmal besser gelingt als vor zwei Jahren?

Wir haben auf jeden Fall einen guten Trainer, der von uns sehr viel Perfektion verlangt, der für den Fußball lebt. Vor zwei Jahren habe ich gesagt: Wir haben eine gute Mannschaft mit einer guten Stimmung, aber die aktuelle Mannschaft übertrifft das noch bei weitem. Der Teamgeist ist absolut perfekt. Da gibt es keinen Spieler, der miese Stimmung verbreitet, weil er nicht spielt. Natürlich ist das im Erfolgsfall immer einfach. Aber ich glaube schon, dass wir vom Charakter her eine sehr gute Truppe haben. Das wird sich hoffentlich in der nächsten Saison zeigen.

Wenn Sie Ihren Trainer mit einem Begriff umschreiben müssten: Ist Luhukay streng, überzeugend oder schlau?

Alles. Er kann streng sein und ist auch im richtigen Moment mal lauter geworden. Er war überzeugend mit seinen Aussagen, die er getätigt hat. Er hat mit allem Recht behalten. Und schlau ist er auch, weil er einfach viele richtige Entscheidungen getroffen hat. Er hat gewisse Leute mit dem nötigen Feingefühl angepackt, die dann explodiert sind, Ronny zum Beispiel.

Hat er auch schon überzeugend dargelegt, dass Hertha nächste Saison nicht absteigt?

Nein, hat er noch nicht. Das war bisher auch noch nicht das Thema. Aber Jos Luhukay hat ja schon öfter gesagt, dass wir eine gute Mannschaft haben und dass er von uns überzeugt ist. Wenn er das sagt, meint er das auch so.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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