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Sport: Fahnenträger statt Werbeträger

Nie werden so viele Bilanzen gezückt wie vor so einer Fußball-WM, böse Erinnerungen schwirren herum, an verkorkste Turniere etwa und die Nation macht sich Sorgen, wie es denn wohl diesmal wird. Das bleibt keinem verborgen.

Nie werden so viele Bilanzen gezückt wie vor so einer Fußball-WM, böse Erinnerungen schwirren herum, an verkorkste Turniere etwa und die Nation macht sich Sorgen, wie es denn wohl diesmal wird. Das bleibt keinem verborgen. Am allerwenigsten, dem Mann, der Teamchef heißt. Also testet Rudi Völler sein Personal - vor aller Augen und das erste Mal in diesem Jahr am Mittwoch gegen Israel (20.15 Uhr, live im ZDF). Probiert wird im Fritz-Walter-Stadion auch der für die WM entwickelte Ball "Fevernova", der vorab von den meisten Spielern als zu klein bezeichnet wurde.

Vieles von dem, was Völler als hinderlich empfand, war aus dem Wege geräumt als der DFB-Tross das Homburger Waldstadion verließ und sich ins noble Schlosshotel hoch über der Stadt zurückzog. Unten auf dem Marktplatz jauchzte und jubelte die lokale Faschingsgemeinde beim Provinzumzug, oben saß mit Oliver Kahn der neue Kapitän auf dem Podium. Oliver Bierhoff, der alte, hatte in der Winterpause, von vielen Attacken genervt, abgedankt. "Ich wusste immer, was in der Mannschaft los ist, welche Strömungen es gibt", sagte der Bayer Kahn, der nun als neuer Stabilitätsfaktor wirken soll. "Wir alle waren diese Situationen leid. Vor jedem Länderspiel wurde diskutiert. Das jetzt hat vielleicht auch für Oliver Bierhoff etwas Befreiendes", sagte Kahn. Und Völler versichert, kein Bauernopfer gesucht zu haben. Kahn will nun schaffen, was Bierhoff als erfolgloser Torjäger und bankdrückender Werbeträger nicht mehr zugetraut wurde - "ein Klima der Leistungsbereitschaft" (Kahn) zu kreieren. Das findet Rudi Völler ("Kahn ist ein beeindruckender Kapitän, ein Fahnenträger, der vorne weg marschiert") wichtig, nicht nur weil eine WM bevor steht. "Zuletzt war der Druck von alleine da, alle gingen an ihre Grenzen", sagt Völler.

Am Mittwoch gegen die in der Qualifikation an Österreich gescheiterten Israelis muss eine Art Eigenmotivation im Team ihre Kreise ziehen. "Wir werden einiges ausprobieren", kündigte der Teamchef an. Das liegt nicht nur daran, dass Völler auf alles vorbereitet sein will, was ihm bei einer WM begegnen kann. Der einst pralle Kader schrumpfte. Jörg Böhme (Schalke 04) und Jörg Heinrich (Dortmund) reisten erst gar nicht an. Der Einsatz des Leverkuseners Oliver Neuville ist ebenso unwahrscheinlich wie der von Marko Rehmer (Hertha BSC). Bei Michael Ballack (Leverkusen) wird getestet bis kurz vor dem Spiel. "Bei einer WM", sagt Völler, "wird die Mannschaft, die das erste Spiel macht, nie die Mannschaft sein, die auch das letzte absolviert. Verletzungssorgen können uns auch bei einer WM treffen". Die Aufstellung lässt Völler deshalb offen und teilte nur dem Pfälzer Bub Miroslav Klose vorab mit, "dass er am Mittwoch auf jeden Fall dabei ist".

Nicht nur, weil er beim 1. FC Kaiserslautern spielt und mit ihm der schleppende Vorverkauf angekurbelt werden könnte. Bescheidene 15 000 Karten sind bisher für das späte Spiel am Aschermittwoch nur verkauft worden. Klose habe einfach eine blendende Form und schieße viele Tore. Neben ihm wird wohl der Münchner Carsten Jancker mitwirken. Ganz egal aber, wer nun spielt, Völler ist froh über die gute Stimmung und den Ehrgeiz seiner Kandidaten. Das betonte er, als befürchte er, dieser Zustand sei nur von kurzer Dauer. "Die Jungs wollen, das ist ein schönes Gefühl. Rehmer, Ziege, Jeremies, die kaum spielen werden, wollten unbedingt hierher", sagte der Teamchef. Und wieder waren sie da, die Bilanzen, die bösen Erinnerungen, beispielsweise an den feucht fröhlichen Untergang bei der Europameisterschaft 2000. "Das darf nie mehr passieren", sagte Völler. Damit schloss er allerdings alle Peinlichkeiten der Vergangenheit ein. Dazu zählt schließlich auch das niederschmetternde 1:1 im Testspiel gegen die Schweiz in Kaiserslautern am 26. April 2000, wenige Wochen vor dem Desaster bei der Euro 2000. Damals aber, und damit wird sich auch Rudi Völler trösten, hieß der Teamchef noch Erich Ribbeck.

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