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Gewaltbereit sind in der Ukraine viele Fans, die meisten gehören wie die UIltras von Dynamo Kiew der rechten Szene an und werden mittlerweile auch politisch gesteuert.

© picture-alliance/ dpa

Fan-Szene in der Ukraine: "Ultras hier sind rechts"

Wie gefährlich ist die harte Fan-Szene der Ukraine? Zwei Anhänger von Arsenal Kiew erzählen über Nazi-Ideologen und Gewaltbereitschaft. Das Besondere an ihnen: Sie sind links.

Pawel, 24, arbeitet momentan in den EM-Stadien. Dort beobachtet er die Fans. Falls sie mit faschistischen Symbolen oder rassistischen Sprechchören auffällig werden, gibt er nach den Spielen seinen Report an die Stadionoffiziellen ab. Pawel ist ein moderater Ultra von Arsenal Kiew, er studiert momentan Europäische Wirtschaft in Wien. Neben ihm sitzt Sasha, 25, kurze Sporthose, Turnschuhe und ein T-Shirt mit drei X – dem Symbol für „Straight Edge“. Der 25-Jährige ist einer der führenden Köpfe der Arsenal-Ultras. Er heißt eigentlich anders, doch er möchte seinen echten Namen nicht in der Presse lesen. Wir sprechen zunächst über die Dokumentation „Stadiums Of Hate“, die die BBC kurz vor Turnierbeginn ausstrahlte. Es ging um Neonazis im ukrainischen Fußball. Der ehemalige englische Nationalspieler Sol Campbell wurde interviewt. Er warnte dunkelhäutige Menschen ausdrücklich davor, in die Ukraine zu reisen. Sasha und Pawel haben den Film gesehen.

Wie viel Wahres steckt in dem Report?

Pawel: Auch wenn er ganz schön aufgebauscht wurde, muss man sagen: Die Bilder lügen nicht. Die Ultras im ukrainischen Ligafußball sind allesamt rechts bis rechtsextrem. Die Ultras von Arsenal Kiew sind mit ihrem antifaschistischen Selbstverständnis die Ausnahme. Allerdings wurden wir auch interviewt, eine Stunde lang, doch in der Endfassung des Films kamen wir nicht vor. Wir passten nicht in das Bild, das von der Ukraine gezeichnet werden sollte. Sie wollten keine Gegenbewegung, sie wollten ein stimmiges Nazi-Bild.

Warum sind fast alle Ultras rechtsextrem?

Pawel: Es ist in der Ukraine cool, rechts zu sein. Vor allem für Jugendliche. Es fing Mitte der Neunziger an. Damals kam die Skinheadbewegung hier auf, die recht schnell die rechte Symbolik adaptierte. Es war am Anfang tatsächlich eine Fashion-Sache. Sie sprühten Haken- oder Keltenkreuze, dachten aber nicht über die Symbolik nach. Später wurde es ideologischer. Heute sind die Gruppen nicht selten an politische Parteien angebunden, die die Ultraszenen als Rekrutierungscamps nutzen. In diesen Szenen ist es unmöglich, sich Ultra zu nennen und gleichzeitig links zu sein.

Was würde passieren, wenn sich Ultras der Ukraine gegen rechts bekennen?

Pawel: Ein Outing würde den Ausschluss aus der Gruppe bedeuten.

Wie gehen Funktionäre und Vereine mit dem Problem um?

Pawel: Gar nicht. Es gibt keinen Dialog. Die Klubs versuchen die Ultras kleinzuhalten, und die Funktionäre oder Offiziellen der Städte negieren das Problem.

Bei Ihrem Verein Arsenal Kiew geben sich die Ultras trotz dieser Kulisse offen links. Wie kam es dazu?

Sasha: Dafür muss ich die Klubgeschichte ein wenig erläutern.

Nur zu.

Sasha: Der Klub hat eine komplizierte Vergangenheit und etliche Fusionen und Namenswechsel hinter sich. Wichtig ist: Er gründete sich 2001 neu unter dem alten Namen Arsenal. Zu den Spielen kamen damals nie mehr als 1000 Zuschauer – ein ganz und gar apolitisches Publikum ohne Fan- oder Ultrabasis. In jener Zeit begann ich mich für Hardcore und Punkmusik zu interessieren. Wir organisierten Konzerte für Bands oder machten selber Musik. Bei den Shows tauchten aber immer wieder rechte Schläger auf, die unsere Freunde aus den Läden prügelten, weil sie schwarz, weil sie alternativ, weil sie anders waren. Ich begann mich für linke Aktionen zu interessieren.

Pawel: Bei mir kam es nicht über die Musik, sondern über die Schule. Ich fand Texte von linken Autoren interessant. Und ich fand es wichtig, mich gegen rechts zu engagieren, auch weil ich merkte, wie sehr die Nazis das Stadtbild von Kiew prägten.

Wie kamen Sie dann zu Arsenal?

Sasha: Ich konnte vorher nie zum Fußball gehen, jedenfalls nicht so, wie ich es wollte, denn bei den anderen Kiewer Vereinen dominierten auch damals schon die rechten Ultras. Also gingen meine Freunde und ich eines Tages zu Arsenal, denn wir wussten, dass es dort bis dahin überhaupt keine Ultra- oder Fanszene gab. Wir waren 20 Leute. Heute sind wir 150.

Erzählen Sie mal, wie eine Auswärtsfahrt für Sie abläuft.

Sasha: Ich kann von einer Fahrt nach Lemberg berichten. Als wir ankamen, war klar, dass die Karpaty-Ultras uns in der Stadt suchen würden. Dafür gibt es sogenannte „Spotter“. Dieses Mal war es eine Frau. Wir erkannten sie sofort.

Wie?

Sasha: Man erkennt Hooligans an vielen kleinen Details. In Berlin oder London ist es vielleicht üblich, Brusttaschen um die Schulter, Sneaker oder Shirts von Fred Perry zu tragen. In der Ukraine ist es das nicht. Uns war sofort klar, dass sie eine Spotterin ist. Sie kam auf uns zu, dann rief sie ihre Gruppe an und reichte uns das Telefon. Schließlich musste ein Kampf verabredet werden. Wir waren 70, die Karpaty-Gruppe bestand aus 150 Leuten.

Klingt nach einer Tracht Prügel.

Sasha: Die Hooligans in der Ukraine haben eigentlich ein Fairplay-Credo. Keine Waffen, ausgeglichene Kämpfe. Wenn es gegen Arsenal-Ultras geht, zählt dieses Credo nicht. Da ist alles erlaubt, auch Messer.

Was bedeutet Ultra denn für Sie?

Sasha: Alles für deinen Klub, deine Gruppe, deine Mannschaft geben. Stimmung machen, Choreos, Gegengewicht. Und ja, auch Gewalt. Den anderen Ultras ein paar blaue Augen mitgeben.

Und für Sie, Pawel?

Pawel: Kann ich alles unterschreiben. Außer die Gewaltsache.

Sasha: Pawel ist Pazifist.

Das Interview führte Andreas Bock.

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