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Sport: Fataler Fehlgriff

Rainer Schüttler verliert im Masters Cup gegen Andre Agassi

Houston. Am Ende einer harten Turnierwoche zeigte der Tennisprofi Rainer Schüttler allzu menschliche Züge. Er wollte einfach nur abtauchen in das Nachtleben der texanischen Metropole Houston und ein paar Caipirinha genießen. Abschalten und vergessen. Cocktails zur Frustbewältigung. Natürlich hat der Hesse nach eigenen Worten „ein geniales Jahr“ hinter sich, mit großen Erfolgen und dem Vorstoß in die Weltspitze. Doch nach dem Halbfinal-Aus beim mit 3,65 Millionen Dollar dotierten ATP Masters Cup in Houston gegen Andre Agassi musste das deutsche Tennis-Ass vor allem über den rätselhaften Einbruch im zweiten Satz Auskunft geben. 7:5, 0:6, 4:6 hieß es nach zwei Stunden und acht Minuten eines teilweise hochklassigen Matches, das für den Deutschen so gut begonnen hatte.

Schüttler schien sich bei seiner WM-Premiere den großen Traum vom Finale erfüllen zu können, als ihn ein seltenes Missgeschick völlig aus der Bahn warf. Der Weltranglistensechste verlor bei eigenem Aufschlagspiel seinen Schläger, danach die Nerven und letztlich die Kontrolle über das Match. Durch einen Gewitterregen hatte das Halbfinal-Duell erst mit 100 Minuten Verspätung anfangen können. Und die hohe Luftfeuchtigkeit war mit schuld daran, dass Schüttler zu Beginn des zweiten Satzes ein Malheur der Marke Hobbyspieler passierte. Er führte 40:30 und servierte, als ihm plötzlich der Schläger aus der Hand fiel. Da der Ball aber den Weg ins gegnerische Feld fand, konnte der zunächst etwas irritierte Agassi locker zum Einstand passieren und danach das wichtige Break erzielen.

Schüttler erklärte später, dass sein Schlägergriff „einfach zu nass“ gewesen sei. Der Deutsche: „Nach dem Aufschlagverlust war ich ein wenig frustriert und sauer.“ Was in dieser kritischen Phase genau in seinem Kopf vorgegangen ist, wollte der 27-Jährige allerdings nicht verraten. Der routinierte Amerikaner jedenfalls nutzte die Konzentrationsschwäche seines um sechs Jahre jüngeren Kontrahenten gnadenlos aus und gewann acht Spiele in Folge. „Wenn man ihm ein wenig Raum gibt, dann reißt er das Spiel sofort an sich. Deshalb ist er so gut“, sagte Schüttler über den Ehemann von Steffi Graf, der von den 7500 Fans im Westside Tennis Club lautstark angefeuert wurde. Es spricht gewiß gegen einen Spitzenspieler, wegen eines kleinen Fehlgriffs derart einzubrechen. Zumal der Hesse nach seinem Gruppensieg über den Weltranglistenersten Andy Roddick (USA) noch frohlockt hatte, dass es den alten Haderer Schüttler nicht mehr gebe, der leicht die Fassung verliert. Doch von der Hilfe durch einen Mentaltrainer wollte er nichts wissen, schließlich wäre „so etwas schon ganz anderen Spielern passiert“.

Es spricht für den Kampfgeist des Korbachers, dass er nach einem 0:2-Rückstand im dritten Satz noch einmal ins Match zurückfand. Er nahm Agassi den Service ab, ging mit 3:2 in Führung, kassierte dann aber im wichtigen siebten Spiel erneut ein Break. Danach donnerte Schüttler verärgert den Ball über die Tribüne, Agassi dagegen spielte seine Routine aus und verwandelte den zweiten Matchball. Ironie des Schicksals: In Houston schloss sich der Kreis, der im Januar in Melbourne begonnen hatte. Damals gelangen dem Deutschen im Finale der Australian Open gegen Agassi gerade einmal fünf Spielgewinne in drei Sätzen. Jetzt lieferten sich die beiden in einem ähnlich wichtigen Turnier einen offenen Schlagabtausch, den auch Schüttler hätte gewinnen können.

„Es war ein hartes Stück Arbeit, und beim 2:3 im dritten Satz haben mir die Zuschauer geholfen“, sagte Agassi, der seinem Kontrahenten eine klare Leistungssteigerung gegenüber dem Grand-Slam-Finale attestierte. „Ich bin ein anderer Spieler mit mehr Selbstvertrauen. Ich bin hierher gekommen, um zu gewinnen“, erklärte Schüttler, der nach Gruppensiegen über Roddick und Guillermo Coria (Argentinien) von einer erfolgreichen Woche bei den inoffiziellen Weltmeisterschaften sprach: „Es hat doch niemand erwartet, dass ich das Halbfinale erreiche. Es gibt keinen Grund, enttäuscht zu sein.“

Im Finale am späten Sonntagabend (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet) standen sich nun Agassi und Roger Federer gegenüber, nachdem der Schweizer im zweiten Halbfinale Andy Roddick mit 7:6 (7:2), 6:2 entzaubert hatte. Der Amerikaner hoffte auf seinen zweiten Masters-Titel nach 1990, während Rainer Schüttler den Urlaub herbeisehnte. Knapp zwei Wochen will er keinen Schläger anrühren, entspannen und das großartige Jahr mit zwei Turniersiegen (Tokio, Lyon) und hervorragenden Resultaten Revue passieren lassen. Den einen oder anderen Caipirinha hat sich der Aufsteiger bei der mentalen Nachbereitung sicher verdient.

Stefan Liwocha

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