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Letzter Schrei. Beim ersten Sieg als Wolfsburg-Trainer trug Pierre Littbarski (l.) ein Trikot des Spielers Josué unter dem Mantel. Was Lucien Favre drunter trug, ist nicht bekannt.

© dpa

Favre - Hoeneß 1:2: Rührstück mit Groupies und Fußball-Barbies

Beim Wiedersehen zwischen Dieter Hoeneß und Lucien Favre feiert Wolfsburg große Gefühle, während Gladbach an das Frühwerk von Favre bei Hertha BSC erinnert.

Am späten Freitagabend hat Dieter Hoeneß einen schönen Satz gesagt. Es ging dabei um Grundwerte des Fußballs, für die Hoeneß wie kein anderer steht, seitdem er mal in einem Pokalfinale mit frisch genähter Stirn und blutdurchtränktem Turban ein Tor geköpft hat. Das liegt schon ein paar Dekaden zurück und wird doch für immer verbunden sein mit dem Mann, der jetzt als Vorsitzender der Geschäftsführung die Geschicke des VfL Wolfsburg leitet. Dieter Hoeneß sprach also nach dem 2:1-Sieg über Borussia Mönchengladbach: „Das hat mit Männerfußball nichts mehr zu tun!“

Dagegen war wenig einzuwenden nach dieser Eröffnung des 24. Bundesligaspieltags. Der Wolfsburger Nordländer Simon Kjaer etwa traute sich bei milden Temperaturen nur mit Handschuhen auf den Platz, sein Trainer Pierre Littbarski trug unter schwarzem Mantel ein Trikot seines verletzten Brasilianers Josué, einem Groupie nicht unähnlich. Und der Gegner aus Mönchengladbach spielte in diesem „Keller-Knaller“ („Wolfsburger Nachrichten“) so zauderhaft, als hätten seine elf Repräsentanten Modell stehen wollen als Kens für die neue Fußball-Barbie.

Es gab also am Freitagabend in Wolfsburg einige Elemente, die der Bösewicht im gerade angelaufenen Kinofilm „Der ganz große Traum“ gut hätte gebrauchen können zur Untermauerung seiner These, nach der Fußball nichts weiter sei als weibische Balltreterei. Der Film spielt im späten 19. Jahrhundert in Braunschweig. Also gar nicht so weit entfernt von Wolfsburg, wo Dieter Hoeneß allerdings nur protestieren wollte gegen den Schiedsrichter, der seiner Mannschaft ein einwandfreies Tor aberkannt hatte wegen angeblich zu heftigen Körpereinsatzes. „Das hat mit Männerfußball nichts mehr zu tun!“

Wahrscheinlich war Hoeneß ganz zufrieden, dass er über den Schiedsrichter schimpfen und seinen Brasilianer Diego loben durfte, den teuersten Spieler einer teuren Mannschaft, die sich unverhofft im Abstiegskampf befindet. Diego war der beste Mann auf dem Platz, und dass er seinen beiden Toren noch einen verschossenen Elfmeter vorangestellt hatte, machte das Rührstück um ihn noch ein Stück weit rührseliger. Diego weinte und lachte und herzte seinen Trainer Pierre Littbarski, der ihn trotz des viel diskutierten Fehlschusses vor drei Wochen von Hannover erneut zum Elfmeterschützen bestimmt hatte. „Diego hat eine großartige Reaktion gezeigt“, sagte Littbarski und dass er nach nun vier in Folge verschossenen Elfmetern eine Liste von vier potenziellen Kandidaten aufgestellt habe. „Ich werde in den nächsten Tagen nachdenken, wer künftig schießen wird.“

Immerhin dieses Problem hat Littbarskis Kollege Lucien Favre nicht. Auch die Gladbacher hatten einen Elfmeter bekommen, Filip Daems verwandelte ihn eine Viertelstunde vor Schluss zum 1:2, aber viel mehr an Offensivaktionen hatte die Borussia nicht zu bieten. „Wolfsburg war technisch und läuferisch klar überlegen“, sagte Lucien Favre, „der Sieg ist hochverdient.“

Das zögerliche Mönchengladbacher Spiel erinnerte in Wolfsburg auf fatale Weise an Lucien Favres erste Wochen bei Hertha BSC, wo die Spieler sich schwer damit taten, den modernen Ideen ihres Trainers zu folgen. In Berlin wollte Favre gemeinsam mit Hoeneß eine große Mannschaft aufbauen, woraus bekanntlich nichts geworden ist. Vor drei Wochen hatte Hoeneß dann mit dem Gedanken gespielt, den Schweizer Fußballlehrer mit dem Projekt der Abstiegsvermeidung zu betrauen, entschied sich am Ende aber für den vormaligen Assistenten Littbarski. Favre nahm ein Angebot aus Mönchengladbach an und weiß spätestens seit Freitagabend, dass diese Mannschaft nicht allein durch eine Laune des Schicksals oder durch unzureichende Arbeit seines Vorgängers Michael Frontzeck auf dem letzten Tabellenplatz steht. In Wolfsburg spielte Borussia Mönchengladbach genauso, wie man sich einen Tabellenletzten vorstellt.

Stellvertretend für den zurückhaltenden Stil der einst stürmischsten Mannschaft Europas steht Roman Neustädter. Der spielt im defensiven Gladbacher Mittelfeld und hatte am Freitag zwei dramatische Szenen zu verantworten. Da war zunächst der einzige vernünftige Gladbacher Angriff in der ersten Halbzeit, vorgetragen über den jugendlichen Antreiber Marco Reus.

Diego hatte gerade seinen Elfmeter verschossen und seine Wolfsburger Kollegen damit reichlich irritiert. In das allgemeine Durcheinander stieß Reus’ Pass auf Neustädter, der im Strafraum alle Zeit der Welt hatte und dennoch weit neben das Tor schoss. Zwei Minuten später schaute derselbe Neustädter in aller Seelenruhe zu, wie Diego den VfL Wolfsburg mit 1:0 in Führung schoss. Er hielt sich dabei dezent zurück, obwohl er sich doch als einziger Gladbacher in unmittelbarerNähe zu Diego aufhielt, was auch Lucien Favre nicht entging, vielleicht auch deshalb, weil Neustädter so auffällig orange leuchtende Schuhe trägt. Eine Minute später holte ihn der Trainer vom Platz. Höchststrafe.

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