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Auf Arturo Vidal könnte es in Madrid mal wieder ankommen.

© Reuters

FC Bayern München bei Atletico Madrid: Arbeitskampf im Halbfinale der Champions League

Den FC Bayern erwartet bei Atletico ein harter Kampf. Um in das Finale der Champions League einzuziehen, sind deshalb nicht nur Künstler gefragt.

Thomas Müller ist das, was man einen Instinkt-Fußballer bezeichnet. Er entscheidet er aus dem Bauch heraus und hat oft die richtigen Ideen. Nicht nur auf dem Rasen. Als Atlético Madrid dem FC Bayern für das Halbfinale der Champions League zugelost worden war, hatte Müller vorgeschlagen, unbedingt Georg Schwarzenbeck mit nach Madrid zu nehmen. „Wir wollen ja schließlich ins Finale.“ Zwar kennt Müller die historische Tat des früheren Münchner Vorstoppers nur aus Erzählungen und unscharfen schwarz-weiß Sequenzen auf Youtube, er selbst kam ja erst mehr als 15 Jahre später zur Welt, aber um die Bedeutung des legendären Tores 1974 gegen Atlético Madrid im Brüsseler Heyselstadion weiß der Angreifer natürlich. Schwarzenbeck hatte damals 20 Sekunden vor dem Ende der Verlängerung den Weg zum ersten Triumph im Europapokal der Landesmeister geebnet - mit einem wuchtigen Schuss aus knapp 30 Metern. „Ich hab‘ draufgehalten und dann war der Ball auf einmal drin“, so seine Erinnerung.

Schwarzenbeck folgte Müllers Einladung nicht, er blieb daheim und schaut sich das Halbfinal-Hinspiel an diesem Mittwoch im Estadio Vicente Calderón (20.45 Uhr/live im Ticker bei Tagesspiegel.de) lieber im Fernsehen an. Der ehemalige Bayern-Spieler wirkt wie aus der Zeit gefallen, in jeder Hinsicht. Seine Position im Fußball gibt es so nicht mehr. Er mag keinen Glamour, keinen Rummel, und schon gar nicht mag er verreisen. Aber die Art, wie er einst mit seinem Ausgleich das Wiederholungsspiel zwei Tage später ermöglichte, ist ziemlich aktuell – und könnte auch in den beiden Partien des Halbfinales ein probates Mittel sein.

Die beiden Mannschaften, die sich am Mittwoch zum ersten Mal seit 1974 wieder in einem europäischen Wettbewerb gegenüberstehen, stehen noch immer oder wieder für zwei verschiedene Fußballkulturen. Die Spanier waren damals wahre Defensivkünstler, hatten bis zum Finale im Brüsseler Heyselstadion nur zwei Gegentore kassiert. Die Münchner hingegen standen für Offensive, mit Gerd Müller und Uli Hoeneß im Sturm, mit Franz Beckenbauer als Libero, der jeden anblaffte, der den Ball quer spielte statt nach vorne.

Im Estadio Vicente Calderón treffen zwei Mannschaften mit unterschiedlichen Philosophien aufeinander

42 Jahre später ist es sehr ähnlich. Auch die aktuelle Atlético-Mannschaft agiert aus einer massiven Deckung heraus, blieb in dieser Saison bereits 35 Mal ohne Gegentreffer, siebenmal häufiger als der FC Bayern. In den zehn bisherigen Champions-League-Spielen kassierten die Münchner fast doppelt so viele Tore wie die Spanier. Spielerisch sind Atlético die anderen drei Halbfinalisten wohl überlegen, aber im Kollektiv ist das Team aus dem Arbeiterviertel Madrids „schwer zu schlagen und für mich der härteste mögliche Gegner“, sagt Münchens Innenverteidiger Javier Martinez.

Trainer Diego Simeones System ist ein Gegenentwurf zu Bayerns Ballbesitzfußball mit dem vorwärtsorientierten Kurzpassspiel. „Sie haben eine Idee entwickelt und verfolgen diese konsequent“, sagte Thiago Alcantara. Die Mannschaft des Argentiniers zerstört lieber, um dann mit langen Bällen die gegnerische Abwehr zu überrumpeln. Dass Abwehrchef Diego Godin ausfällt, ist allerdings eine Schwächung. Doch für Simeone ist es vor allem eine Herausforderung. Er spricht von einer „großen Chance, um zu zeigen, wer wir sind“.

Der Münchner Talentspäher Michael Reschke saß beim Viertelfinalrückspiel gegen den FC Barcelona auf der Tribüne und hat erkannt, dass der FC Bayern es gegen Atlético mit Fußball allein nicht geregelt bekomme. Jeder, sagte er der Süddeutschen Zeitung, müsse „ein bisschen Vidal“ sein. Nicht nur Künstler also, sondern auch und manchmal sogar vor allem Rabauke. „Wir müssen um jeden Zentimeter kämpfen“, weiß Mario Götze, der aber vermutlich nicht zu jenen Spielern gehören wird, die dies umsetzen sollen.

Vidal würde auch gut in Atléticos Mannschaft passen. Er verkörpert genau jene Eigenschaften, die auch Simeone an seinen Spielern schätzt: Leidenschaft, Aggressivität, Kompromisslosigkeit in Zweikämpfen, Laufbereitschaft bis zum Umfallen  -  und ein wenig Schlitzohrigkeit. Vielleicht hätte der Atlético-Trainer über die Schwalbe von Vidal im Pokal-Halbfinale eher geschmunzelt, statt sich – wie es sein Kollege Guardiola tat – dafür zu entschuldigen. Der Chilene mit dem Spitznamen „Krieger“ ist seit ein paar Wochen der Mann für die entscheidenden Spiele. Die Bayern leben in diesem Frühling weniger von ihrer Spielkunst als von ihrem Kampfgeist, wenn es eng wird wie gegen Juventus Turin oder Benfica Lissabon  - und natürlich von den Toren Vidals. Die Mühe in den vergangenen beiden Runden der Königsklasse war so gesehen keine schlechte Vorbereitung auf den Arbeitskampf im Halbfinale.

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