zum Hauptinhalt
Franck Ribéry

© dpa

FC Bayern: Sie sind die Roboter

Die neuen Stars des FC Bayern München werden von Experten mit modernsten Methoden in Form gebracht.

Es ist zehn Jahre her, dass Riccardo Proietti dieses Buch geschrieben hat, „Forza e velocitá nel calcio“, Kraft und Schnelligkeit im Fußball. Ein Schwerpunkt darin ist das Thema Bergläufe, und man könnte mutmaßen, dass Felix Magath das Buch einst gelesen hat, als er Trainer des FC Bayern wurde. Schließlich war es Magath, der dem Berglauf zu einer Art Kultstatus verholfen hat. Inzwischen aber ist Magath im Flachland beim VfL Wolfsburg, Ottmar Hitzfeld wieder beim FC Bayern, und Riccardo Proietti schreibt keine Bücher mehr, sondern scheucht lieber selbst Fußballer über den Platz. „Arms up!“, ruft er zum Beispiel, oder: „One more to go!“ Die Spieler des FC Bayern stöhnen, dann laufen sie in ihrem Trainingslager in Donaueschingen.

Manchmal sieht es sonderbar aus, wenn Kahn, Klose und Co. auf Proiettis Kommando zu sprinten beginnen – weil sie dabei bisweilen Elektroden am ganzen Körper tragen. Proietti sitzt dann hinter einem Laptop, Ottmar Hitzfeld steht ein paar Schritte daneben und sieht wortlos zu. Das ist jetzt öfter so beim FC Bayern: Hitzfeld schweigt, andere geben Kommandos. Die Münchner haben ihren Trainerstab erweitert – wenn auch spät: Die internationale Konkurrenz arbeitet seit Jahren mit mehreren Spezialisten. Beim FC Bayern ist man nach der miserablen vergangenen Saison aufgewacht, hat viel Geld in neue Spieler und neue Methoden investiert. Nun ist Proietti da, zumindest während der Saisonvorbereitung, dazu kommen der Rosenheimer Sportwissenschaftler Thomas Wilhelmi, der vor allem für die Rehabilitation verletzter Spieler zuständig ist, sowie der kroatische Fitness-Trainer Zvonko Komes.

„Wir wollten etwas verändern“, sagt Manager Uli Hoeneß, „das neue Trainerteam bringt frischen Wind in den Verein, es macht Spaß zuzuschauen.“ Hoeneß hat recht: Es sieht lustig aus, wie die Bayern scheinbar willkürlich vorwärts, rückwärts und seitwärts tippeln, über Plastikstangen springen oder mit erhobenen Händen ruckartige Oberkörperbewegungen machen, als seien sie ferngesteuerte Roboter. Dazwischen steht der grauhaarige Komes, er macht Übungen vor und gibt Anweisungen, auf Englisch. Riccardo Proietti spricht auch Englisch, wenn auch mit stark italienischem Akzent. Wenn man sich mit ihm unterhält, muss man gut aufpassen, um zu verstehen, was er meint.

Proiettis Trumpf aber ist nicht die Sprache, sondern ein Computerprogramm namens „Omegawave“, das im US-amerikanischen Eugene entwickelt wurde und bei Vereinen wie dem FC Barcelona und dem AC Milan bereits seit ein paar Jahren eingesetzt wird. Es misst Werte wie Herzfrequenz und Hormonausschüttung. Anhand dieser Werte bestimmt Proietti das individuelle Trainingsprogramm für jeden Einzelnen – und kann andererseits, wie Hitzfeld es ausdrückt, „feststellen, welcher Spieler hundert Prozent gegeben hat“.

Die Umstellung auf Proiettis Programm geschah auf Hinweis von Oliver Schmidtlein, der bis vergangene Saison Reha-Trainer beim FC Bayern war und den gleichen Job noch immer bei der deutschen Nationalmannschaft ausübt. Schmidtlein sagt, dass „Omegawave“ zwar nicht die einzige Wahrheit, aber zumindest ein erster, längst fälliger Schritt in die richtige Richtung sei. Dabei weiß er, dass Proiettis Computersteuerung längst nicht durchgehend akzeptiert ist in der Sportwissenschaft. Einige Wissenschaftler sind skeptisch, von Werten wie der Herzfrequenz Rückschlüsse auf das gesamte Trainingsprogramm zu ziehen.

Auch die Fans sind kritisch: „Die mit ihrem Fünfzig-Mann-Stab“ – solche Bemerkungen kann man zurzeit am Rande des Trainingsplatzes hören. Dabei ist das Verteilen der Trainingsarbeit auf mehrere Schultern sinnvoll: „Die Stärke eines erfolgreichen Trainers ist es zu delegieren“, sagt Schmidtlein. Weil die Bayern das jetzt erkannt haben, preisen sie das neue Training an, wann immer sie können. „Es ist gut, wenn nicht alle das Gleiche machen, jeder braucht ein anderes Tempo“, sagt zum Beispiel Mark van Bommel. „Es ist sehr wichtig“, sagt Luca Toni, der das Programm wie van Bommel von früheren Vereinen kennt.

Nur bei Miroslav Klose dauert es ein bisschen, bis er auf die Frage nach Proiettis Methoden antwortet. „Wer?“, fragt er. Proietti! „Ach so, der.“ Das beruht vermutlich auf Gegenseitigkeit: Auch Proietti hat Probleme mit Kloses Namen, meistens sagt er etwas wie „Klos“. Neue Beziehungen brauchen eben Zeit.

Michael Neudecker[Donaueschingen]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false