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Sport: Fehler mit System

Warum bei Hertha BSC zurzeit auf dem Platz alles falsch läuft

Berlin - Es ist kein gutes Zeichen, wenn Politik zur reinen Symbolpolitik verkommt. Auch im Fußball nicht. Falko Götz, der Trainer von Hertha BSC, hat am Mittwoch eine Entscheidung getroffen, die vor allem symbolisch zu verstehen war: Kurz vor dem Ende des Spiels gegen Rapid Bukarest holte er Marcelinho vom Feld. Der Brasilianer hatte schlecht gespielt, doch um seine konkrete Leistung ging es schon gar nicht mehr. Götz wollte dokumentieren, dass er weiterhin die Handlungshoheit besitzt und Marcelinho sich nicht alles erlauben kann. Die eigentlich richtige Entscheidung war trotzdem falsch – weil Herthas Trainer den Brasilianer schon viel früher hätte disziplinieren müssen. „Er befindet sich schon länger in einem Tief“, sagt Götz, der sich nun vorwerfen lassen muss, die Launen des Brasilianers viel zu lange toleriert zu haben.

Marcelinho setzte gestern ebenfalls ein Zeichen: Er kam fünf Minuten zu spät zum Abschlusstraining für das Spiel gegen Schalke. Nach der Einheit sagte er: „Ich bin traurig über das, was geschrieben wurde.“ Dabei kann er sich bisher wirklich nicht beschweren. Selbst das System, das Götz dem Team verpasst hat, ist auf Marcelinho zugeschnitten. Der Mittelfeldspieler besitzt alle Freiheiten: Wie ein freier Künstler darf er sich auf dem Spielfeld herumtreiben – der Ertrag aber ist zuletzt bescheiden gewesen. „Wir schießen zu wenig Tore und arbeiten zu wenig Chancen heraus“, sagt Götz.

Es ist ein bisschen paradox: Die Berliner besitzen eine der besten Mittelfeldbesetzungen der Liga, doch damit Götz möglichst viele seiner Begabungen auch auf dem Platz unterbringen kann, verzichtet er auf einen Stürmer, was wiederum dazu führt, dass sich die Mittelfeldspieler zusätzlich dazu angehalten fühlen, selbst den Abschluss zu suchen, anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe nachzukommen und Tore vorzubereiten. Sie besetzen, vor allem in der Mitte, Räume, die eigentlich für die Angreifer vorgesehen sind und vernachlässigen dafür die Außenpositionen.

„Das 4-3-2-1-System ist unser Erfolgssystem aus der letzten Saison“, sagt Götz. Trotzdem hat er in der Winterpause die Variante mit zwei Stürmern und einer Mittelfeldraute geprobt. In einer solchen Formation könnte Gilberto die halblinke, Yildiray Bastürk die halbrechte und Marcelinho die Position hinter den Spitzen besetzen.Das System erfordert allerdings gerade im Mittelfeld eine hohe taktische Disziplin. Es ist daher kein Wunder, dass sich vor allem Bastürk für die alte Taktik ausgesprochen hat. Doch mit seinem Festhalten am 4-3-2-1 hat Götz nicht nur Marko Pantelic demontiert, der sich plötzlich auf der Ersatzbank wiederfand. Er hat auch den neuen Stürmer Vaclav Sverkos demoralisiert, der in Berlin eigentlich neuen Mut schöpfen wollte, nun aber feststellen muss, dass das Dasein eines Stürmers bei Hertha wenig Freude macht. In vier Spielen hat Sverkos ein einziges Mal auf das gegnerische Tor geschossen, vor einer Woche in Wolfsburg durfte Marcelinho ungestraft seine Auswechslung fordern.

Obwohl die Berliner in der Bundesliga auf Platz fünf liegen, weist ihr Verhalten bereits alle Symptome einer tiefen Krise auf: die Unbeherrschtheiten auf dem Platz, die innerhalb von anderthalb Wochen fünf Platzverweise zur Folge hatten, die – aus Wut über das 0:1 gegen Bukarest getroffene – Ankündigung des Trainers, notfalls Spieler rauszuschmeißen, der Ausschluss der Journalisten vom Vereinsgelände sowie stundenlange Krisensitzungen über, ohne und mit Marcelinho. „Das Problem ist ausgeräumt“, sagte der Brasilianer gestern, deshalb gehe er davon aus, dass er gegen Schalke spielen werde. „Einige Spieler haben sich auf meine Seite gestellt“, berichtete Marcelinho. „Sie haben mir auf die Schulter geklopft, als ich zum Training gekommen bin.“

Trainer Götz ist längst in eine Situation geraten, in der selbst das Richtige falsch wird. Im Internet-Chat mit Herthas Fans wurde er immer wieder danach gefragt, warum er nur mit einer Spitze spiele. Herthas Trainer kündigte an, in den nächsten Heimspielen zwei Angreifer aufzubieten. Damit aber erweckt er den Eindruck, sich dem Druck der Öffentlichkeit gebeugt zu haben. Immerhin hat Götz seinen Humor noch nicht verloren. Auf den Vorschlag, es gegen Schalke mit einer „offensiven 4-5-2-Aufstellung“ zu probieren, antwortete er: „Wenn ich dich richtig verstehe, sollen wir ohne Torwart spielen.“

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