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Sport: Feiern gegen die Angst

Werder Bremen muss nach dem 2:2 gegen Hoffenheim den Abstieg fürchten, verdrängt aber die Gefahr und schwelgt in Nostalgie.

Bremen - Sie hatten wirklich alles aufgefahren in Bremen, was an glorreiche Zeiten erinnert. Vor dem Anpfiff im Weserstadion spielte die Stadionregie einen Werder-Song nach dem nächsten, in allen wurde die Meisterschaft besungen. Über die Videowände flimmerten Ausschnitte von legendären Werder-Spielen. Und sie hatten die Mannschaft eingeladen, die vor 25 Jahren den zweiten deutschen Meistertitel für den Klub geholt hatte – zu einer Zeit, als der Gegner vom Samstag, die TSG Hoffenheim, noch zwischen Kreis- und Bezirksliga pendelte. Die Fans hatten dazu ein Banner mit dem Konterfei von Otto Rehhagel entrollt. Von jenem „König Otto“, der mit Werder den Europapokal und je zweimal Meisterschaft und DFB-Pokal gewonnen hat. Doch 90 Minuten später stand es wieder nur 2:2 und war das elfte Spiel ohne Sieg hintereinander. Das Abbild von Otto Rehhagel bekam plötzlich eine ganz andere Bedeutung: Der Maestro hatte Werder in der Saison 1980/81 in der Zweiten Liga übernommen.

Mit einem Sieg gegen Hoffenheim wäre Werder Bremen zwar noch nicht gerettet gewesen, hätte aber ein halbwegs beruhigendes Polster von fünf Punkten zum Relegationsplatz gehabt. Jetzt muss in Bremen weiter gezittert werden. Das Unentschieden fühlte sich wie eine Niederlage an, was auch die Aussage von Stürmer Nils Petersen belegte: „Ich weiß gar nicht, wie man solch ein Spiel noch verlieren kann“, sagte er. Manch anderer bei Werder war gar nicht mehr in der Lage, etwas zu sagen: Dem vom FC Chelsea ausgeliehenen Kevin De Bruyne kamen sogar die Tränen. Torhüter Sebastian Mielitz starrte in der Mixed-Zone quasi durch die Reporter hindurch und stammelte mehr, als er sprach: „Ich bin einfach nur down, ich fühle mich so leer.“ Und Sebastian Prödl erklärte: „Wir haben zu früh gedacht, das Spiel gewonnen zu haben. Jetzt bleiben wir einer der Anwärter, und das tut weh.“

Selbst für neutrale Beobachter war es schwer, sich der Wucht der Emotionen zu entziehen. Der Klub und die Fans haben im Abstiegskampf den Schulterschluss geübt, und die Anhänger veranstalteten ein Spektakel, als könnte Werder noch Meister werden. Allein, es reichte nicht, weil die Spieler in den Schlussminuten wieder einmal komplett die Orientierung verloren und Sven Schipplock mit seinen beiden Treffern noch den Ausgleich für Hoffenheim besorgte. Und zu allem Überfluss fiel das 2:2 erst in der Nachspielzeit.

Doch der Schock währte nur kurz. Dann sammelten sich Fans und Mannschaft und feierten sich wieder gegenseitig, obwohl es eigentlich nichts zu feiern gibt. Schon bald versuchten sie bei Werder dem Unentschieden etwas Positives abzugewinnen. „Wir können eigentlich stolz sein auf uns“, befand Nils Petersen. Und Trainer Thomas Schaaf erklärte: „Wir haben heute unheimlich viel Schönes erlebt. Ich bin nicht enttäuscht, weil ich nicht erwartet hatte, dass wir heute schon großartig jubeln können. Wir waren nie auf nur diese eine Partie fixiert.“

Es ist weder dem Klub noch den Anhängern vorzuwerfen, dass sie in schweren Zeiten zusammenrücken. Laute Anfeuerungen helfen einer verunsicherten Mannschaft sicherlich mehr als gellende Pfiffe. Aber die Inszenierung hatte auch etwas von Selbstbeweihräucherung und von Verdrängung. Die Feierstimmung und das Schwelgen in Nostalgie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Klub mit dem Anspruch, international zu spielen, im Abstiegskampf steckt. Thomas Schaaf stand in der Kritik, weil er es nicht verstanden hat, eine funktionierende Einheit auf den Platz zu bringen. Am Samstag wurde er gefeiert, und all die Diskussionen darüber, ob er noch der richtige Trainer für Werder sei, waren verstummt.

Zumindest bis zum nächsten Samstag. Dann empfangen die Bremer Eintracht Frankfurt. Eine Mannschaft, die mit noch bescheideneren Mitteln als Werder gestartet ist, deutlich besseren Fußball spielt und mit einem Sieg dem Ziel Europapokal entscheidend näher kommen würde. Fußballerisch ist dies eine schwerere Aufgabe als gegen die TSG Hoffenheim, weshalb in Bremen die Hoffnung erneut auf dem „zwölften Mann“ ruht: „Wenn uns die Fans wieder genauso sensationell unterstützen, dann bin ich mir sicher, dass wir die Punkte holen“, sagte Werders Kapitän Clemens Fritz. Sven Bremer

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