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Sport: Fern der Heimat

Jan Benda ist in Belgien geboren, seine Eltern sind Tschechen, er spielt in Russland Eishockey – und fühlt sich als Deutscher

Von Sven Goldmann

und Claus Vetter

Helsinki. „The Hockey News“ ist so etwas wie die Bibel des Eishockeys, eine unumstrittene Instanz bei Fans, Funktionären und Spielern und deswegen nur bedingt vergleichbar mit dem „Kicker“, dem Zentralorgan der deutschen Fußballer. Das Blatt aus Toronto hat Unbekannte zu Weltstars gemacht, den Finnen Teemu Selänne zum Beispiel oder den Schweden Mats Sundin. Vielleicht hat sich auch Jan Benda am Beginn einer großen Karriere gesehen, als die „Hockey News“ ihm vor sechs Jahren den Satz widmeten, er sei „some kind of sensation“, so etwas wie eine Sensation. Gestatten: Jan Benda, geboren in Belgien als Sohn tschechischer Eltern, aufgewachsen in Essen, ausgebildet in Kanada, über die deutsche Bundesliga und die erste tschechische Liga in die National Hockey League (NHL) gekommen, die stärkste Eishockey-Liga der Welt. Nun, es hat dann für Benda nur zu ein paar Spielen gereicht für die Washington Capitals, genau gesagt, waren es neun. Später hat er es noch einmal mit noch geringerem Erfolg bei den Edmonton Oilers versucht. Eine Art Schlittschuh fahrende Sensation aber ist Jan Benda immer noch. Er ist einer der ganz wenigen Eishockeyprofis, die neben einem Engagement in der NHL auch noch auf höchstem Niveau in Finnland, Tschechien und Russland angestellt waren. Und, das ist das Bemerkenswerte: Auf jeder Station hat er sich als Botschafter des deutschen Eishockeys gefühlt, „auch wenn das manchmal wie in Russland gar nicht so einfach ist“.

So ist das vielleicht. Fernab der Heimat entwickelt sich beim Menschen oft der Stolz auf das, was er nicht jeden Tag haben kann. Benda sieht darin einen unverkrampften Nationalstolz. Für die Absagen einiger prominenter Kollegen für die am Samstag eröffnete Weltmeisterschaft in Finnland hat er daher auch überhaupt kein Verständnis. „Absage? Das käme für mich nie in Frage, da würde ich lieber auf anderes verzichten“, sagt Benda. „Die Nationalmannschaft ist für mich wie eine zweite Familie.“

Es bleibt als leichter Widerspruch haften, dass Jan Benda nun schon bald zehn Jahre nicht mehr im Schoß der Familie gespielt hat. Seit 1994, als er Hedos München als Deutscher Meister verließ, hat er die besser dotierten Verträge im Ausland stets den Angeboten aus Deutschland vorgezogen. Das hat Jan Benda mitunter den Ruf eines Abzockers eingebracht. Vor zwei Jahren waren die Berliner Eisbären dicht dran. Benda erinnert sich, dass „wir uns zu 99 Prozent einig waren“ – bis dann bei der Weltmeisterschaft in Deutschland ein russischer Ölmillionär aus der Provinz Tatarstan Kontakt mit ihm aufnahm. Die Tataren boten entscheidend mehr als die Deutschen, also ging Benda nach Russland.

Sein Jahresgehalt beim Klub AK Bars Kazan liegt im hohen sechsstelligen Dollarbereich – in Russland ist dies allerdings ein handelsüblicher Preis. An der Grenze zu Afghanistan geben sie für das Eishockey viel Geld aus. Präsident von Bars Kazan ist der Premierminister von Tatarstan. Über 20 Millionen Dollar lässt er sich sein Hobby kosten, die Spieler sind Spitzenverdiener im russischen Eishockey, und Benda ist einer von ihnen.

Das Leben in Kazan gefällt Benda gut, obwohl ihn beim Blick aus dem Autofenster manches erschreckt. Zeit zum Beobachten hat er ja auf der Fahrt zu seiner luxuriösen 100-Quadratmeter-Wohnung mit extra importiertem italienischen Mobiliar. Benda hat seinen eigenen Chauffeur. „Was das Leben angeht, musst du dich in Russland an vieles gewöhnen. Natürlich gibt es Leute mit viel Geld, teure Geschäfte. Aber es gibt auch sehr viele Leute, die sich nicht viel leisten können.“ Neid auf die Großverdiener gebe es nicht, sagt Benda, auch wenn ihm manches im Alltag von Kazan nicht behagt. „Ich habe immer Kleingeld in den Taschen, wenn ich das Stadion verlasse.“ Auf der Straße warten schon Kinder, und die betteln nicht um Autogramme.

Benda kommt an in Kazan. Bei einer Wahl der Fans in der vergangenen Saison wurde er mit 10 000 Stimmen zum beliebtesten Spieler der ersten russischen Liga gewählt, für den Mann auf Platz zwei votierten 4000 Fans weniger. „Natürlich ist es etwas Besonderes, wenn du in Ländern populär bist, wo Eishockey die beliebteste Sportart ist. Ich hatte das Glück, das in Finnland, Tschechien und jetzt in Russland zu erleben.“ In seinem ersten Jahr hat der einzige Ausländer im Team Bars Kazan mit dem entscheidenden Tor ins Meisterschaftsfinale geschossen. „Dafür wollten die mir ein Denkmal setzen.“

Mittlerweile zählt der Deutsche zu den besten Stürmern der russischen Liga. Das ist insofern seltsam, als er im Nationalteam seit Jahren in der Verteidigung spielt. „In Russland wird äußerst offensiv gespielt, in der Nationalmannschaft äußerst intensiv verteidigt.“ So mag es Bundestrainer Hans Zach, und dessen Philosophie hat Benda verinnerlicht. Wie Zach warnt auch Benda vor Japan, dem ersten Gegner der deutschen Mannschaft bei der WM am Sonntag in Helsinki (15 Uhr, live bei Premiere). „Die Japaner sind nicht schlecht, die haben im vergangenen Jahr die Tschechen und die Schweizer vor Probleme gestellt“, sagt Benda und verschweigt vorsichtshalber, dass die Deutschen damals bei ihrem 9:2-Sieg über den Asienmeister nicht allzu große Mühe hatten.

Ein oder zwei Jahre will Benda sich noch im Ausland versuchen. „Mit Kazan bin ich mir bereits zu 90 Prozent über einen neuen Vertrag einig.“ Danach will er „auf jeden Fall“ einen Arbeitgeber in Deutschland suchen. Wenn nicht wieder irgendein Millionär kommt, vielleicht schon heute nach dem Weltmeisterschafts-Auftakt gegen die Japaner. Ein Engagement im Fernen Osten fehlt noch in Jan Bendas Reisekatalog, und für die japanische Ausgabe der Eishockey-Bibel wäre das wohl „some kind of sensation“, mindestens.

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