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Freunde, wo ist das Fairplay? Fifa-Präsident Joseph Blatter (Mitte) hat kein Verständnis für die Proteste in Brasilien.

© pixathlon / action images

FIFA Confed-Cup: Brasilien: Das Land des Fußballs zürnt dem Fußball

Die Brasilianer lieben den Fußball, wehren sich aber nun gegen den Größenwahn der WM-Veranstalter. Die fehlende Nachhaltigkeit im WM-Konzept geht aber nicht nur auf die FIFA zurück.

Brasilien stürmte und kämpfte und gewann 2:1 gegen Uruguay. Brasilien steht im Finale des Confed-Cups, aber es war nicht der Fußball, der die Geschichte dieses Mittwochs schrieb. Wieder mal nicht. Es waren die Demonstranten in Belo Horizonte, wo die Brasilianer um den Einzug ins Finale spielten. 50.000 Menschen blockierten die wichtigsten Straßen der Stadt. Der Verkehr staute sich kilometerweit, ein Bus ging in Flammen auf, und abermals waren es die provozierenden Plakate, die den Ton angaben. Plakate wie: „Quero um hospital padrao Fifa“ – ich will ein Krankenhaus im Fifa-Format.

Und der Fußball?

Jetzt auch noch die Brasilianer ... Die Gralshüter des schönen Spiels, sie nennen es „jogo bonito“, und wenn eine Nation den Fußball bedingungslos liebt, dann sind es die Brasilianer. Und jetzt machen sie dem Weltverband Fifa die schöne Party kaputt. Als alles losging, vor nicht einmal zwei Wochen, stand Joseph Blatter fassungslos auf der Tribüne des Mané-Garrincha-Stadions von Brasilia. Als das Land des Fußballs den Fußball auspfiff. Buhrufe gegen seine Person ist der Fifa-Präsident gewohnt. Dass aber auch die Staatspräsidentin Dilma Rousseff niedergebrüllt wurde, weil ihre Regierung dem Volk das Turnier um den Confed-Cup schenkt und im kommenden Jahr auch die Weltmeisterschaft – das war zu viel für Blatter. „Liebe brasilianische Freunde, wo ist der Respekt und das Fairplay?“, rief der greise Präsident in die Menge und provozierte damit doch nur ein weiteres Anschwellen des Lärmpegels.

Blatters Zwischenruf war, streng genommen, ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und damit eine Einmischung in die demokratische Souveränität Brasiliens. Dabei betont er doch so oft und gern die politische Neutralität des Fußballs. Aber natürlich ist der Fußball nicht neutral und schon gar nicht in diesen Tagen von Brasilien. Das kann er schon aus finanziellen Gründen nicht sein. Mit allem Drum und Dran investiert Brasilien zehn Milliarden Euro in die WM, ein Viertel davon in den Bau und die Totalsanierung von Stadien. Das ist verdammt viel Geld für ein Land, das 0,4 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in die Bildung investiert, das kaum über funktionierende Verkehrssysteme verfügt und ein erbärmliches Gesundheitswesen hat. Eltern können ihre Kinder nun mal nicht ins Fußballstadion bringen, wenn sie krank sind.

„Das Geld für die Stadien hätte für 8000 neue Schulen gereicht, für 39.000 Schulbusse oder 28.000 Sportplätze“, polterte der frühere Weltstar Romario in einem Video, das er auf Youtube veröffentlichte. Romario ist heute als Kongressabgeordneter ein scharfer Kritiker der Regierung, von der er sagt, dass sie eigentlich von den Fifa-Leuten geführt werde: „Sie kommen hierher, bauen den Zirkus auf, haben keine Auslagen und nehmen alles mit.“

Das ist natürlich ein wenig polemisch formuliert. Eine WM kostet nun mal Geld, und Brasilien wusste, dass die WM teuer werden würde. Das Problem ist, dass sie noch teurer wird als ursprünglich geplant. Die Teuerungsrate liegt bei knapp zwanzig Prozent. Dazu kam der überdimensionierte Ehrgeiz einer auf internationale Profilierung bedachten Regierung, die das Turnier unbedingt in zwölf Städten veranstalten wollte. Acht hätten auch gereicht.

Die weißen Elefanten, die die Fifa bei der WM 2010 in Südafrika hinterlassen hat, sie werden auch Brasilien zieren.

Da haben sich zwei Partner gesucht und gefunden. Joseph Blatter sagt oft und gern, dass Brasilien diese WM unbedingt gewollt, ja verlangt habe. Da ist etwas dran. Aber hat das brasilianische Volk diese WM wirklich so gewollt? Mit Stadienneubauten in Manaus, Brasilia und Cuiabá, in Städten, in denen es keine Erstliga-Klubs gibt? Offensichtlich hat es die Fifa nicht weiter interessiert. Die weißen Elefanten, die die Fifa bei der WM 2010 in Südafrika hinterlassen hat, sie werden auch Brasilien zieren. „Das Pflichtenheft der Fifa und die notwendigen staatlichen Zusicherungen setzen schon Standards“, sagt der Jurist Marcus Haase. „Und natürlich ist es legitim, dass die Brasilianer darüber diskutieren, ob diese Standards zu ihrem Land passen.“

Marcus Haase hat bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland für das Organisationskomitee gearbeitet. Vor vier Jahren hat er neben seiner Berliner Anwaltskanzlei eine Agentur für Sportconsulting in Rio de Janeiro eröffnet und begleitet den Entwicklungsprozess als International Consultant. „Es gibt ja auch durchaus positive Aspekte. In Rio etwa wird die Metro ausgebaut, das hätte ansonsten noch Jahrzehnte gedauert, aber für die WM wird es jetzt in Angriff genommen“, sagt Haase. „Und mich fragen schon sehr viele Brasilianer, ob es normal ist, dass die Fifa so hohe Anforderungen stellt.“

Der Fifa-Chef Blatter legt großen Wert auf die Feststellung, die brasilianischen Alltagsprobleme hätten nichts mit Confed-Cup und WM zu tun und die Demonstranten würden den Fußball völlig zu Unrecht zur Bühne ihres Unmuts machen. Dabei sind es gerade die Staats- und Verbandschefs, die den Fußball gern zu ihrer Bühne machen, zur Plattform ihrer Selbstdarstellung. Gern verkauft mit dem Argument, der Fußball würde ihrem Land einen Schub ermöglichen und weltweite Aufmerksamkeit garantieren.

Die Olympischen Spiele von London sind ein gutes Beispiel von Nachhaltigkeit

Die WM ist auf seltsame Weise nach Brasilien gekommen. Nämlich konkurrenzlos, Brasilien war der einzige Kandidat des südamerikanischen Verbandes im Rahmen einer Rotation unter den Kontinenten, die die Fifa danach schleunigst wieder abschaffte. Nun darf der Sinn von millionenschweren Wettbewerben, wie sie das IOC zur Kür ihrer Olympiastädte ausrichtet, durchaus kritisch betrachtet werden. Aber ganz ohne Wettbewerb geht es eben auch nicht. Die Olympischen Spiele von London sind ein schönes Beispiel dafür. Spiele der Freude, aber auch der Sparsamkeit und der Nachhaltigkeit. Das Olympische Dorf ist ein für die Zukunft geplantes Wohnungsbauprojekt, das Olympiastadion wird zurückgebaut und vom Fußballklub West Ham United genutzt, temporäre Sportanlagen für Handball oder Basketball wurden anderswohin verpflanzt, und von der neuen Verkehrsanbindung wird der Osten in Englands Hauptstadt noch lange profitieren. All das wäre ohne den Wettstreit mit Paris wahrscheinlich nicht möglich gewesen. In London stehen keine weißen Elefanten.

In Brasilien marschiert der Fußball sehr viel dominanter auf, und er hatte dabei anfangs auch keine großen Hindernisse zu überwinden, denn Brasilien hat dem Fußball viel zu verdanken. Der Fußball hat geholfen, die Rassenschranken aufzuheben, er hat dem Land internationale Reputation verschafft und Selbstbewusstsein gegeben. Der Fußball hat aus Brasilien ein international beachtetes und bewundertes Land gemacht.

Der Fußball hat Brasilien nicht nur gegeben, er hat auch genommen. Da ist dieses nationale Trauma, das der Niederlage im finalen Spiel der Weltmeisterschaft 1950, es machte Uruguay zum Weltmeister und stürzte Brasilien in tiefste Agonie. Ja, das war wahrscheinlich furchtbar für die fußballvernarrten Brasilianer. Aber wie glücklich muss ein Land sein, das sein nationales Trauma nicht auf ein Hungerleiden oder einen Krieg oder einen Terroranschlag oder sonst eine Plage der Menschheit bezieht, sondern auf ein verlorenes Fußballspiel?

Der Fußball hat Brasilien geduldig gestimmt. Aber irgendwann ist die Geduld mal am Ende angelangt.

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